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Austrian Law Journal, Band 2/2015
Seite - 210 -
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ALJ 2/2015 Klauselbegriff und „blue pencil test“ in der AGB-Rechtsprechung 210 Wäre außerdem jeder Eingriff legitim, solange nur Text gestrichen wird, so ermöglichte der „blue pencil test“ Ergebnisse, die nur als geltungserhaltende Reduktion zu bezeichnen und mit den Leitlinien des EuGH klar unvereinbar sind. Schließlich könnten so aus überschießenden „15 %“ oder „9,5 %“ (Verzugs-)Zinsen „5 %“ („15 %“ oder „9,5 %“) werden. Genauso gut ließe sich die Wendung „keine Haftung“ in ihr Gegenteil verkehren („keine Haftung“ oder „keine Haftung“). Die „blue pencil rule“ bedarf somit jedenfalls gewisser Einschränkungen. Eine davon könnte lauten, dass nur ganze Wörter gestrichen werden dürfen. Diese Regel wird man aber schon für Ergän- zungsstriche wieder einschränken müssen. So stünde etwa eine Freizeichnungsregelung mit der Formulierung „Sach- und Personenschäden“ in Konflikt mit § 6 Abs 1 Z 9 KSchG; dieser ließe sich aber ohne Weiteres durch reines Streichen beheben („Sach- und Personenschäden“). Dabei wird allerdings kein ganzes Wort gelöscht; diesen Fall anders zu behandeln als die Klausel „Sachschäden und Personenschäden“ käme geradezu Willkür gleich. Das Streichen der Wörter „nicht“ oder „keine“ allein wäre wohl grundsätzlich unzulässig. Die „blue pencil rule“ muss also jedenfalls durch zahlreiche – hier nicht annähernd abschließend darstellbare – Ausnahmen modifiziert werden. Ihre bestechende Einfachheit entpuppt sich als bloßer Schein. Wiederholt wurde in Entscheidungen aus dem „common law“ festgehalten, dass der erfolgreiche „blue pencil test“ nur Mindestvoraussetzung sei, aber nicht zwangsläufig Teilbarkeit bedeute.90 Auch solche Regelungen, die sich grammatisch teilen lassen, können „in Wahrheit eine einzige Klausel“ („in truth but one covenant“) sein.91 Dann aber definiert die „blue pencil rule“ gerade nicht den Klauselumfang, sondern limitiert nur die Reichweite der Unwirksamkeitssanktion einer- seits und den zulässigen Eingriff in das Vertragswerk andererseits. Ursprünglich diente die „blue pencil rule“ keineswegs der Abgrenzung einzelner Klauseln voneinander – also der tatbestandlichen Umschreibung einer Klausel – mit dem Ziel, diese gesondert auf ihre Missbräuchlichkeit zu prüfen und gegebenenfalls zu eliminieren. Auch ein von Präventions- und Verbraucherschutzgedanken getragenes Verbot der geltungserhaltenden Reduktion spielte für die Väter des „blue pencil test“ (zunächst) keine Rolle.92 Vielmehr wurde er als Reaktionsmöglichkeit auf missbräuchliche Ver- tragsbestimmungen bei geringstmöglichem richterlichem Eingriff in das bestehende Regelwerk entwickelt. Die „blue pencil rule“ bestimmt damit im Grunde nicht den „Gegenstand der Wirk- samkeitsprüfung“93, sondern setzt der Rechtsfolge Grenzen. In seiner Urform ist der „blue pencil test“ also eine formalistische Form der geltungserhaltenden Reduktion – und nicht ihr Kontra- punkt.94 Letztlich kann er daher bei der Abgrenzung einzelner Klausel voneinander nur ein Hilfs- instrumentarium mit Indizcharakter sein.95 90 High Court (Chancery Division) 20. 12. 1946, Routh versus Jones, [1947] 1 All E.R. (All England Law Reports) 179 (181: „As regards severability, a composite covenant may only be severed if, and to the extent that, on its true construction, the covenant in truth consists of two or more separate covenants.“); vgl schon Zimmermann, Rich- terliches Moderationsrecht 79 f mwN. 91 Siehe dazu Beale, Chitty on Contracts I31 (2014) Rz 16-201; Furmston, Cheshire, Fifoot and Furmston’s Law of Contract16 (2012) 533; ferner Fn 89. 92 Zum Präventionsgedanken siehe aber beispielsweise Supreme Court of Ohio 2. 4. 1975, Raimonde versus van Vlerah, 42 Ohio St. 2d 21; Supreme Court of Canada 23. 1. 2009, Shafron versus KRG Insurance Brokers (Western) Inc., 2009 SCC (Supreme Court of Canada) 6 = [2009] 1 S.C.R. (Supreme Court Reports) 157. 93 Medicus, Rechtsfolgen für den Vertrag bei Unwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, in Heinrichs/ Löwe/Ulmer (Hrsg), Zehn Jahre AGB-Gesetz (1987) 83 (89). 94 Vgl aber Fidler, JBl 2014, 705 f. 95 Im Ergebnis ähnlich H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht11 § 306 Rz 13 mwN; Uffmann, Verbot 174 f.
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Austrian Law Journal Band 2/2015
Titel
Austrian Law Journal
Band
2/2015
Autor
Karl-Franzens-Universität Graz
Herausgeber
Brigitta Lurger
Elisabeth Staudegger
Stefan Storr
Ort
Graz
Datum
2015
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
19.1 x 27.5 cm
Seiten
100
Schlagwörter
Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
Kategorien
Zeitschriften Austrian Law Journal
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