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ALJ 2/2015 Eigentumsvorbehalt und Publizität 216
zur Sprache. Der zum Alltagsgeschäft gewordene publizitätslose Eigentumsvorbehalt blieb in der
Folge unangetastet.
Erst um 1970 beginnen Vertreter der österreichischen Rechtslehre, die bisher fehlende dogmati-
sche Rechtfertigung des publizitätslosen (einfachen)20 Eigentumsvorbehalts im Gegensatz zum
zwingenden Publizitätserfordernis beim Pfand und Sicherungseigentum gleichsam nachzuliefern.
Zu diesem Zeitpunkt ist der Eigentumsvorbehalt längst zum festen und als unverzichtbar empfun-
denen Bestandteil des Wirtschaftslebens geworden. Anders als in der bekannten publizitätslosen
Form scheint er nicht wirklich vorstellbar. Die von der hA21 zur Absicherung des publizitätslosen
Eigentumsvorbehalts vorgetragenen Argumente sind vielfältig. Sie beziehen sich zum Teil auf
genuine Besonderheiten dieses Sicherungsinstruments, zum Teil wird auf Unterschiede zu
Pfandrecht und Sicherungsübereignung verwiesen, die eine Verschiedenbehandlung in Bezug auf
Publizitätsanforderungen rechtfertigen sollen. Gegenüber diesen Argumenten ist allerdings in
jüngerer Zeit immer wieder Kritik laut geworden.22 Eine umfassende Würdigung der von der hA
vorgebrachten dogmatischen Argumente steht derzeit jedoch aus.23 Sie soll im nachfolgenden
Abschnitt II. versucht werden.
Vorweg ist allerdings noch kurz auf die Themeneingrenzung zurückzukommen. Die zentrale in
diesem Beitrag verfolgte Frage ist zunächst jene, ob sich ein gänzlicher Verzicht auf Publizitätsan-
20 Der Beitrag konzentriert sich in der Folge (wie auch die meisten der vorliegenden literarischen Stellungnahmen)
auf die Grundform des „einfachen“ Eigentumsvorbehalts, bei dem einzig die Entgeltforderung aus dem konkreten
Erwerbsgeschäft durch Vorbehalt des Eigentums an der Kaufsache gesichert wird, und zwar ohne Erstreckung in
etwaige Verarbeitungsprodukte oder Ersatzsicherheiten wie Kaufpreisforderungen aus Weiterveräußerungsge-
schäften.
21 Siehe mit Nuancen im Einzelnen und unterschiedlichem Grad an Vollständigkeit F. Bydlinski in Klang (Hrsg),
Kommentar zum ABGB2 IV/2 (1978) 461 ff; Koziol, Zu Fragen des Eigentumsvorbehaltes, QuHGZ 1970, 71; Aicher
in Rummel (Hrsg), Kommentar zum ABGB I3 (2000) § 1063 Rz 27; Binder/Spitzer in Schwimann/Kodek (Hrsg), ABGB
Praxiskommentar IV4 (2014) § 1063 Rz 19; Apathy in Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht IX 285 (Rz 4/10); vgl auch
Koziol – Welser/Kle-tečka, Grundriss des bürgerlichen Rechts I14 (2014) 457 f (Rz 1317); Schauer, Das Register für
Mobiliarsicherheiten in Österreich: Rechtsdogmatische und rechtspolitische Grundlagen, in Schauer (Hrsg), Ein
Register für Mobiliarsicherheiten im österreichischen Recht (2007) 1 (5); Riedler, Eigentumsvorbehalt, in Apathy/
Iro/Koziol (Hrsg), Österreichisches Bankvertragsrecht IX (2012) 243 (247 f, Rz 3/5). Zu einzelnen Punkten auch
Mayrhofer, Erweiterter Eigentumsvorbehalt und Sicherungsübereignung, ÖJZ 1969, 197 (201 f). In der Folge werden
meist nur einzelne Autoren stellvertretend angeführt. – Etwas problematisch ist der gelegentlich zu findende Ver-
weis auf Frotz, Kreditsicherungsrecht 165 ff: Auch er führt etliche der im Folgenden referierten Argumente auf, die
wesentliche Unterschiede zwischen Eigentumsvorbehalt und Sicherungseigentum aufzeigen; er tut dies aller-
dings nicht etwa, um die publizitätslose Wirksamkeit des Eigentumsvorbehalts zu untermauern, sondern um die
Berechtigung des Vorbehaltseigentümers zur Exszindierungsklage nach § 37 EO darzutun, die er dem Sicherungsei-
gentümer nicht zubilligen möchte.
22 Dezidiert kritisch Aichinger, Das „anonyme“ Sicherungsmittel Eigentumsvorbehalt – Maßnahmen für eine Offen-
kundigkeit, ZfRV 2010, 273; zum Teil wortgleich Aichinger, Der Eigentumsvorbehalt und seine Zukunft – In Öster-
reich, England, Frankreich und der Schweiz (2009) 207 ff; Harrer, Sicherungsrechte – Bürgschaft, Faustpfand, Hypo-
thek, Eigentumsvorbehalt (2002) 122 ff. An der Überzeugungskraft der seitens der hA vorgebrachten Argumente
zweifelnd Riedler, Gedanken zur Publizität dinglicher Kreditsicherungsrechte de lege lata et ferenda, in FS 200
Jahre ABGB (2011) 1365 (1389 f); Ch. Rabl, Eigentumsvorbehalt und Verarbeitung, in FS Bucher (2009) 611 (614
mit FN 13); ders, Die Verarbeitungsklausel beim Eigentumsvorbehalt, in FS Koziol (2010) 341 (345 mit FN 6); ferner
F. Schwind, Publizitäts- und Faustpfandprinzip im österreichischen und internationalen Sachenrecht, in F. Schwind
(Hrsg), Europarecht – Internationales Privatrecht – Rechtsvergleichung (1988) 61 (64 f); Iro, Sachenrecht5 (2013)
165 (Rz 8/2: „problematisch“); Mayrhofer, Zur neueren Entwicklung der Kreditsicherung durch Fahrnis (1968) 8
(„offensichtliche Verletzung des Faustpfandprinzips“); Rechberger, Kreditsicherungsmittel – Wunsch und Wirklichkeit,
in Kühnelt (Hrsg), Basel II (2005) 43 (61 f: „Wertungswiderspruch“); Kaller, Sicherungszession von Buchforderungen
unter besonderer Berücksichtigung der Publizität (2007) 31 (auch Eigentumsvorbehalt müsse offenkundig sein);
kritisch ferner bereits Gschnitzer, Schuldrecht Besonderer Teil und Schadenersatz (1963) 26 (die gegensätzliche
Behandlung von Sicherungseigentum und Eigentumsvorbehalt bedeute eine „gewisse Inkonsequenz“).
23 Vgl jedoch W. Faber, Mobiliarsicherungsrecht III.D.1.1. – Der nachfolgende Abschnitt II. baut auf diesen Ausfüh-
rungen auf und übernimmt einzelne Textpassagen wörtlich.
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal