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ALJ 2/2015 Andreas J. Kumin 265
Teilerneuerung und die Nachbesetzung nur einzelner freiwerdender Richterstellen. Die Rolle
eines auch hier eingebundenen Auswahlausschusses – lediglich Feststellung der Eignung der ein-
zelnen KandidatInnen oder auch Vorgabe einer Reihung ihrer Qualifikation – und ihre Auswirkung
auf die politische Letztentscheidungsfunktion des Rates fĂĽgen dem Dilemma noch eine weitere
Dimension hinzu.
Nach unzähligen Wendungen in dem sich schon vier Jahre hinziehenden Verhandlungsprozess,
deren Schilderung den Rahmen dieses Abends sprengen wĂĽrde, versuchen wir derzeit im Rat auf
der Grundlage eines neuen Kompromissvorschlags des Gerichtshofs13, vorgelegt auf Ersuchen des
italienischen Ratsvorsitzes vom letzten Halbjahr, endlich einen Durchbruch zu erzielen, der beide
Fliegen mit einer Klappe schlagen wĂĽrde. In einem Drei-Phasen-Modell soll eine Verdoppelung
der Richter am EuG von 28 auf 56 erfolgen: zunächst im Herbst 2015 durch 12 Richter, dann 2016
durch die Auflösung des Dienstgerichts mit seinen sieben Richtern und der Wiedereingliederung
seiner Aufgaben in das Gericht und schließlich 2019 durch neun zusätzliche Richter. In die Details
zur Verwirklichung dieses Plans wird in den nächsten Wochen und Monaten noch eine Menge
Arbeit zu investieren sein.14
Wenn einem alten, aber immer noch gĂĽltigen Spruch zufolge Verfahrensfragen immer auch Macht-
fragen sind, dann gilt das fĂĽr Probleme der inneren organisatorischen Ausgestaltung von Haupt-
organen der EU allemal. Nun hat ein Mitglied des EuGH am Rande einer wissenschaftlichen Ver-
anstaltung zu verstehen gegeben, dass die in Art 257 AEUV vom Primärrechtsgeber vorgesehene
Schaffung von Fachgerichten mit Rechtsmittelzug an das EuG, das sogenannte „Nizza“-Modell, im
Grunde „verfassungswidrig“ sei. Die Schaffung von Fachgerichten etwa für den Bereich des geis-
tigen Eigentums oder für Wettbewerbs- und Beihilfensachen, wäre jedoch mE ein sehr wohl
gangbarer Weg, um das EuG von beträchtlichem Arbeitsanfall für Entscheidungen in erster Instanz
mit oft sehr umfangreichen Aktenkonvoluten zu entlasten. In einer Einschätzung wie der zuvor
zitierten über die Verfassungswidrigkeit einzelner Bestimmungen des Primärrechts klingt eine
Anspielung auf das Vorhandensein eines „Baugesetzes“ der EU-Verfassungsordnung an, das
durch den dreigliedrigen Stufenbau der Unionsgerichtsbarkeit im Nizza-Modell berĂĽhrt sei. Ein
solches Baugesetz näher herauszuarbeiten wäre zwar grundsätzlich durchaus eine eigene Unter-
suchung wert. Mir scheint fĂĽr die auf Fortschritte in der Beschlusspraxis der EU-Organe ausge-
richteten Zwecke des Beitrags hingegen die Kritik dahingehend einleuchtender und zutreffender,
dass mit der bisher immer wieder gescheiterten Einigung auf einen Modus zur Bestellung der
zusätzlichen RichterInnen am Gericht sowie den vorläufig gescheiterten Nachbesetzungsverfahren
für RichterInnen am Gericht für den öffentlichen Dienst von den Mitgliedstaaten im Rat – zumindest
fahrlässig, wenn nicht grob fahrlässig – eine aus Sicht der Rechtsstaatlichkeit bedenkliche Dysfunk-
tionalität herbeigeführt bzw in Kauf genommen wurde.
13 Vgl Ratsdokument Nr 14448/14 + COR 1.
14 Nach Annahme des Standpunkts des Europäischen Parlaments in erster Lesung am 15. 4. 2014 (Zustimmung zur
Erhöhung um 12 Richter und punktuelle Änderungsanträge zum EuGH-Vorschlag) hat mittlerweile der Rat in seiner
Zusammensetzung Allgemeine Angelegenheiten am 23. 6. 2015 den Standpunkt des Rates in erster Lesung –
basierend auf dem oben geschilderten Modell – formell angenommen (Ratsdokumente ST 9375 2015 REV 1 und
ST 9375 2015 REV 1 ADD 1). Somit tritt das Gesetzgebungsfahren in die zweite Lesung ein.
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal