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ALJ 2/2015 Thomas Mühlbacher 273
dung in der Praxis an diesen Anforderungen zu messen. Tatsächlich scheint die Gelassenheit des
OGH in der Frage der Geschworenengerichte in einem auffallenden Widerspruch zur Unrast zu
stehen, die er beispielsweise in der Sachverständigenfrage an den Tag legte.
Hier hegte der 11. Senat Bedenken an der Verfassungskonformität des § 126 Abs 4 dritter Satz StPO
im Zusammenspiel mit § 126 Abs 2c und 3 erster Halbsatz StPO, beruhend auf dem Umstand,
dass im Ermittlungsverfahren ein Sachverständiger im Normalfall von der Staatsanwaltschaft
bestellt wird. Nach Ansicht des Senats führt dies dazu, dass der von der Staatsanwaltschaft bestellte
Sachverständige, soweit sich die Anklage begründend auf seine Expertise stützt und ihn das Gericht
für das Hauptverfahren neuerlich zum nunmehr auch gerichtlichen Sachverständigen bestellt, als
von einer Verfahrenspartei nicht unabhängiger Zeuge der Anklage zu qualifizieren ist.
In einem Verfahren des 17. Senats15 hatten diese verfassungsrechtlichen Bedenken zu keiner Norm-
anfechtung geführt, weil unabhängig von dieser Frage ein Freispruch geboten war. In zahlreichen
weiteren Entscheidungen16 hatte der OGH verfassungsrechtliche Bedenken sogar verneint.17
Letztlich war der Antrag erfolgreich: Der VfGH stellte mit dem Erkenntnis vom 10. 3. 2015, G 180/
2014, fest, dass die Wortfolge „Sachverständigen oder“ in § 126 Abs 4 dritter Satz der Strafprozess-
ordnung 1975, BGBl 1975/631 (Wv), idF BGBl I 2004/19, verfassungswidrig war. Die Bestimmung
war nämlich bereits mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl I 2014/71 erheblich
umgestaltet worden.
Vielleicht hat Anton Wildgans an solche Konstellationen gedacht, als er 1911 als Auskultant die
letzte Strophe seines Gedichtes „Letzte Instanz“ schrieb.18
C. Eigene Stellungnahme
Es muss verwundern, dass der OGH ein deklariert begründungsloses Urteil als „durchaus begrün-
det“ ansieht und sich willig auf das Argument einlässt, dass die hinreichende Konkretisierung des
Schuldspruchs eine Begründung des Urteils darstelle oder diese wenigstens ersetze. Andernorts,
nämlich in seiner Judikatur zu § 270 Abs 2 Z 5 StPO, stellt der OGH durchaus klar, dass die Begrün-
dung des Urteils weit über die Tatindividualisierung im Spruch hinausgeht19: Das erkennende
Gericht ist verhalten, mit voller Bestimmtheit anzugeben, welche Tatsachen und aus welchen
Gründen es als erwiesen oder nicht erwiesen angenommen hat.
Fallbezogen hatte sich das Schöffengericht mit dem lapidaren Hinweis begnügt, der an sich nicht
denkwidrigen Verantwortung des Angeklagten könnte „aufgrund der gesamten Vorfälle, wie sie
sich darstellen“ nicht geglaubt werden – eine im Übrigen geradezu klassische Formel in der Nieder-
15 OGH 17 Os 25/14a Zak 2014/657 = RZ 2014/EÜ 211/212/213/214 = AnwBl 2015, 69 = JSt-Slg 2014/36 = JSt-LS OGH
2015/9 = JSt-LS OGH 2015/10 = JSt-LS OGH 2015/11 = JSt-LS OGH 2015/12 = JSt-LS OGH 2015/13 = EvBl 2014/136
(Ratz) = JSt 2014, 200 (Wess/Rohregger).
16 OGH 13 Os 141/11a, 160/11w JBl 2013, 61 (Wess); OGH 15. 5. 2012, 14 Os 2/12v; OGH 13 Os 131/12g JSt 2013, 163
(Birklbauer) = JSt 2013, 170 (Stuefer) = AR aktuell 2014 H 5, 16 (Chini); OGH 11 Os 51/13d EvBl 2014/62 = ÖJZ 2014/
144 (Swiderski); OGH 13 Os 55/13g, 56/13d EvBl-LS 2014/124 = AnwBl 2014, 660 = JSt-LS OGH 2014/65 = JSt-LS
OGH 2014/69 = JSt-LS OGH 2014/70 = JSt-LS OGH 2014/71 = JSt-LS OGH 2014/74.
17 Gleichwohl hatte die Vollversammlung des OGH in ihren Tätigkeitsberichten 2011 und 2012 jeweils Bedenken
am System der Sachverständigenbestellung geäußert.
18 „Und ein Gerippe legt die Wage hin / Und nimmt das Schwert und macht sich selbst zum Boten / Des Spruches,
welcher seinen Sinn / Schon längst verloren, und zerhaut den Knoten.“
19 OGH 13 Os 151/95 JUS St/1989.
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal