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ALJ 2/2016 Christoph Bezemek 118
F. Supplierung
Die Frage drängt sich auf, ob das für den Grundrechtsschutz insgesamt gilt: Richard Novak hat be-
kanntlich die Position entwickelt, das Sachlichkeitsprinzip des Gleichheitssatzes diene als „Ersatz für
die in der österreichischen Grundrechtsordnung fehlende allgemeine Handlungsfreiheit“.82 Diese
„Supplierungsthese“ ist dem Ergebnis nach bestechend.
Soweit sie aber das gleichheitsrechtliche Instrumentarium gegen den Gesetzgeber richtet, könnten
zunächst übersehen werden, wie wirkmächtig es zur Bewältigung der hier aufgeworfenen Proble-
me auf Vollziehungsebene eingesetzt werden kann: Mit Blick auf „Subtraktions-“‚ und „Legalitäts-
these“ können die verbliebenen losen Enden ohne Weiteres in der gleichheitsrechtlichen Dogmatik
verknüpft werden. Denn es mag zwar zutreffen, dass, wie Kelsen und Alexy in seltener Einmütigkeit
betonen, „[d]as Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit […] nur [fordert], was ohnehin gilt, wenn
Rechtsnormen gelten“,83 weil es letztlich „nur statuiert, daß Normen normgemäß anzuwenden
sind.“84 Doch wird die Freiheit, als „Freiheit von gesetzwidrigem Zwange“, wie sie Jellinek ausweist,85
positivrechtlich erst über den Gleichheitssatz bewehrt, der den Legalitätsanspruch der negativ de-
terminierten Freiheitssphäre des Individuums subjektiv-rechtlich übersetzt: 86 Eine Rechtsordnung,
die Gleichheit vor dem Gesetz sicherzustellen trachtet, muss das Gesetz selbst als unbedingte Richt-
schnur des Handelns ihrer Organe begreifen87 und damit Willkür als „Auflehnung gegen die Idee
des Rechts“88 unterbinden.89 Ähnlichkeiten zwischen dieser grundlegenden Anforderung und dem
Kern der gleichheitsrechtlichen Prüfungsformel des VfGH90 sind damit keineswegs zufällig …
Will die Rechtsordnung jenseits dessen Gleichheit im Gesetz gewährleisten, muss sie, und das führt
zurück zur „Supplierungsthese“, darüber hinausgehen und das Individuum, dessen Rechte und
Pflichten sie gestaltet, in seiner Geworfenheit ansprechen.91
G. Egalität
Magdalena Pöschl wiederum hat, in Anlehnung an Alexander Somek,92 dieses Anliegen damit um-
schrieben, das Individuum in seinem So-Sein zu akzeptieren, um damit zum Ausdruck zu bringen,
der Gleichheitssatz sei grundlegend als Diskriminierungsschutz auf Merkmale bezogen, die die
82 Novak, Lebendiges Verfassungsrecht (1988), JBl 1992, 477 (482); vgl idS auch etwa Berka, Die Grundrechte: Grund-
freiheiten und Menschenrechte in Österreich (1999) 142, Potacs, Grundrechtsschutz für motorisierten Individual-
verkehr in Österreich? ZfV 1994, 553 (555), oder Storr, ZfV 2009, 532; vgl auch Kneihs, Privater Befehl und Zwang
(2004) 51 f; Pöschl, Gleichheitsrechte, in Merten ea (Hrsg), Handbuch der Grundrechte VII/1² (2014) § 14 Rz 38
spricht allgemein von einem „Substitut für Freiheitsrechte“.
83 Alexy, Theorie 358.
84 Kelsen, Rechtslehre² 146.
85 Jellinek, System 103.
86 Vgl dazu auch Kirchhof, Objektivität und Willkür, in FS Geiger (1989) 105 ff.
87 Der Grundanforderung, wenn auch nicht der Ausformung vergleichbar das Konzept der „rule of law as a law of
rules“ – Scalia, The Rule of Law as a Law of rules“, the University of Chicago Law Review 1989, 1175.
88 Jhering, Der Kampf ums Recht (1872 [Nachdruck 2003]) 18.
89 Dazu bereits Berka, Der Freiheitsbegriff des „materiellen Grundrechtsverständnisses, in FS Schambeck 1994, 339
(346-347) sowie Pöschl, Gleichheit 583.
90 Vgl zur etablierten Prüfungsformel allein aus der neueren Rsp etwa VfGH 2.3.2016; E 1688/2015, 20.11.2015;
E 857/2015; oder 25.6.2015, E 473/2015. Zur Frage der Gesetzlosigkeit behördlichen Handelns als Willkür vgl aus
der neueren Rsp insb VfGH 11.6.2014, B 960/2012 – näher zu alldem Bezemek, Gleichheitssatz, in Heißl (Hrsg),
Handbuch Menschenrechte (2009) 228 (247 ff); sowie Pöschl in Merten ea, § 14 Rz 79 ff. Für die aus Art 83 Abs 2
B-VG resultierenden Anforderungen an das Vollzugshandeln, die zuweilen vergleichbare Konsequenzen zeitigen
können vgl etwa VfSlg 13.925/1994 sowie aus der neueren Rsp etwa VfGH 12.3.2014 B 634/2013. Dazu bereits
Ress in FS Antoniolli 119 f; sowie aus der neueren Literatur Schulev-Steindl, Rechte 361 f.
91 Wie auch die folgende Terminologie angelehnt an Heidegger, Sein und Zeit19 (Nachdruck 2006) § 39.
92 Somek, Rationalität und Diskriminierung (2001) insb 25 ff sowie 372 ff.
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Austrian Law Journal
Band 2/2016
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2016
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 40
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal