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ALJ 2/2017 Cyber Crime – Der digitalisierte Täter 118
Es wird aber auch Konstellationen geben, in denen das System aus technischer Sicht nicht fehler-
haft gearbeitet hat und dennoch Menschen zu Schaden kommen:
A ist mit seinem autonom fahrenden Smart Car unterwegs, bei dem er nur mehr Passagier ist
und aus technischer Sicht gar keine Möglichkeit mehr zum Eingreifen in den aktuellen Fahrvor-
gang hat. Ein Kind läuft vor dem Auto (unerwartet) auf die Straße. Ein Aufprall, bei dem das Kind
wahrscheinlich zu Tode käme, könnte nur durch ein Ausweichmanöver erreicht werden, bei dem
der Wagen allerdings gegen eine Mauer prallen und dadurch seinen Passagier A töten würde.
Würde ein Mensch in einer solchen Konstellation nicht ausweichen, um sich selbst zu retten, so
könnte er zwar nie gerechtfertigt sein, weil sich in der Güterabwägung zwei gleichwertige Rechts-
güter, nämlich das Leben des ausweichenden Menschen und das Leben des Kindes, gegenüber-
stehen. Aber wegen des Verlangens, das eigene Leben zu retten, könnte der Mensch uU auf-
grund entschuldigenden Notstandes nach § 10 StGB straflos werden. § 10 StGB setzt dafür näm-
lich eine gegenwärtige oder unmittelbar drohende Gefahr für ein Rechtsgut verbunden mit einer
aktuellen psychischen Drucksituation beim Täter voraus; eine Höherwertigkeit des zu rettenden
Rechtsgutes wird dabei nicht gefordert.39 In einer solchen Situation bleibt das menschliche Ver-
halten zwar rechtswidrig, aber aufgrund des akuten Ausnahmezustandes, in dem der Mensch
sich befindet, entfällt der Schuldvorwurf.
Das Smart Car kann einer vergleichbaren Drucksituation nicht ausgesetzt sein. Denn es trifft die
Entscheidung nicht selbst, sondern die Reaktion muss vorweg für eine solche Situation pro-
grammiert werden. Diese Entscheidungen müssen also in einem Zeitpunkt getroffen werden, der
weit vor dem eigentlichen Geschehen liegt. Damit stellt sich aus Sicht der Strafrechtsdogmatik die
Frage, ob Entschuldigungsgründe auch denjenigen zugutekommen können, die die Entscheidung
darüber treffen, wie das Smart Car für solche späteren Interessenskollisionen zu programmieren
ist, oder ob traditionelle schuldausschließende Instrumente im Zusammenhang mit intelligenten
Systemen für solche Interessenkollisionen schlicht unanwendbar sind. Denn immerhin wird die
Entscheidung lange vor der eigentlichen akuten Unfallsituation getroffen. Auf Basis des derzeiti-
gen Stands der Technik ergeben sich solche Konstellationen zwar noch nicht. Doch sollte sich die
Strafrechtsdogmatik rechtzeitig solchen Herausforderungen stellen, um auch für die Zukunft
befriedigende Lösungen für den Umgang mit digitalisierten Tätern bereit zu halten.
V. Conclusio
Mag die zuletzt aufgeworfene Fragestellung uU auch neue Überlegungen zur Strafrechtsdogma-
tik notwendig machen, so kann man doch nach derzeitigem Stand der technischen und rechtli-
chen Entwicklung festhalten, dass das Strafrecht – nicht zuletzt aufgrund der Anpassungen durch
das StRÄG 2015 – im Großen und Ganzen auch für den digitalisierten Täter in den geschilderten
Kriminalitätsbereichen gerüstet ist.
39 Zum entschuldigenden Notstand nach § 10 StGB und dessen Prinzipien Fuchs, Strafrecht AT I9 Kap 24/8 ff;
Fabrizy, StGB12 § 10; Höpfel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB (22. Lfg 2012) § 10; Kienapfel/Höpfel/Kert, Lernprogramm
Strafrecht AT I15 (2016) Z 20; Koller/Schütz in Leukauf/Steininger, StGB4 § 10; Moos in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer,
SbgK StGB36 § 10.
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Austrian Law Journal
Band 2/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 108
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal