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ALJ 2/2017 Der digitalisierte Steuerzahler 131
Die Überbelastung liegt auch darin, dass bei jeder falschen Angabe, die sich zum Nachteil des
Fiskus auswirkt, die Strafbarkeit droht. Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung wird
erfüllt, wenn ein Steuerpflichtiger dem Fiskus unrichtige oder unvollständige Angaben macht und
dadurch einen ungerechtfertigten Steuervorteil erlangt.39 Das Steuerrecht ist gegenwärtig so
kompliziert,40 dass kaum eine Steuererklärung in diesem Sinne richtig ist. Die objektiven Tatbe-
standsvoraussetzungen liegen daher häufig vor. Jedenfalls leben die Steuerpflichtigen in der ständi-
gen Ungewissheit, ob sie eine Steuererklärung abgegeben haben, die den objektiven Tatbestand
der Steuerhinterziehung erfüllt.41 Der subjektive Tatbestand stellt ebenfalls schwierige Abgrenzungs-
fragen, wenn keine Absicht vorliegt, sondern nur ein sog bedingter Vorsatz (dolus eventualis), der
Täter also den Erfolg zwar nicht will, aber für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.42 Die hier
bestehenden allgemeinen Abgrenzungsschwierigkeiten sind anerkannt, verschärfen sich aber
angesichts eines unübersichtlichen Steuerrechts und der dadurch bewirkten Unsicherheiten über
die Steuerschuld und damit den deliktischen Erfolg.43 Die erheblichen Unsicherheiten werden
dadurch verstärkt, dass das Steuerermittlungsverfahren mit seinen Mitwirkungspflichten nicht
strikt vom Steuerfahndungsverfahren mit seinem Aussageverweigerungsrecht getrennt wird.44
Der Nemo-tenetur-Grundsatz könnte – gelinde gesagt – besser umgesetzt werden. Die zentrale
Aufgabe des Strafrechts, die Grenze zur Strafbarkeit klar zu ziehen, erfüllt das Steuerstrafrecht
nicht.
Schließlich betrifft das geltende Steuerrecht den Datenschutz in erheblicher Weise. Der Steuer-
pflichtige wird verpflichtet und gedrängt, seine gesamten Finanzdaten offenzulegen, in der Erwerbs-
und der Privatsphäre. Der Fiskus weiß über das Geschäftsmodell, die Geschäftspartner, die Familie,
die Konfession, die Größe der Wohnung, über die Arbeiten in und an der Wohnung und über
vieles mehr Bescheid. Der Steuerstaat fragt in der Absetzbarkeit sog außergewöhnlicher Belas-
tungen sogar nach Krankheiten, also nach Informationen, die den intimen Bereich der Betroffe-
nen nicht verlassen sollten.45 Würden diese Daten mit moderner Technik verarbeitet, könnten die
Profile, die Amazon, Apple und Google von uns erstellen, im Vergleich zu den Bildern, die die
Finanzverwaltung zeichnen könnte, als kubistische Gemälde erscheinen. Die grundrechtliche
Vorgabe, die Daten der Steuerpflichtigen zu schonen, wird gegenwärtig stark vernachlässigt.
Dabei hat sich die Frage nach dem steuerlichen Datenschutz in Zeiten der Digitalisierung und
modernen Datenverarbeitung erheblich intensiviert. Steuerdaten dürfen von Verfassungs wegen
nur erhoben werden, wenn das Steuergeheimnis gewährleistet ist.46 Es stellt sich die Frage, wie
sicher die digitalen Steuerdaten sind. Grundlegender ist zu erörtern, ob für die Finanzierung des
39 § 371 Abs 1 Z 1 dAO.
40 Siehe FN 14 mwN.
41 Kuhlen, Grundfragen der strafbaren Steuerhinterziehung (2012) 100.
42 Kaeser, Steuerstrafrechtliche Verantwortung im Unternehmen und selbstregulierende Tax Compliance, DStJG 38
(2015) 193 (206 ff mwN); siehe aber auch Kuhlen, Vorsatz und Irrtum im Steuerstrafrecht, DStJG 38 (2015) 117 ff.
43 Deutlich Kaeser, DStJG 38 (2015) 206 ff.
44 Herrmann, Doppelfunktion der Steuerfahndung als Steuerkriminalpolizei und Finanzbehörde, DStJG 38 (2015)
249 ff; Salditt, Bürger zwischen Steuerrecht und Strafverfolgung, DStJG 38 (2015) 277 ff; Drüen, Außenprüfung
und Steuerstrafverfahren, DStJG 38 (2015) 219 ff.
45 Krankheitskosten sind ein Musterfall außergewöhnlicher Aufwendungen, die von § 33 dEStG erfasst werden
(Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 33 EStG, Anm 90). § 33b dEStG knüpft unmittelbar an Behinderun-
gen an. Entsprechende Nachweise sind vom Steuerpflichtigen zu erbringen (§§ 64 f dEStDV).
46 BVerfG 2 BvR 1439/89 BVerfGE 84, 239 Rz 136 ff (Besteuerung von Kapitaleinkünften); Di Fabio in Maunz/Dürig,
Grundgesetz, Art 2 Rz 178; Rüsken in Klein (Hrsg), AO13 (2016) § 30 AO Rz 2; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler,
Abgabenordnung – Finanzgerichtsordnung § 30 AO Rz 8.
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Austrian Law Journal
Band 2/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 108
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal