Seite - 138 - in Austrian Law Journal, Band 2/2017
Bild der Seite - 138 -
Text der Seite - 138 -
ALJ 2/2017 Christoph Bezemek 138
hin zur photographischen Abbildung des eigenen Wahlverhaltens reicht.9 Max Webers Vorstellung
einer „herrenlosen Sklaverei“10 bestellt Grüße...11
Indes wäre es naiv zu glauben, dass all das abseits virtueller Beziehungsgeflechte vernachlässig-
bar wäre. Auch reale soziale Netzwerke, wie könnte es anders sein, atmen eine vergleichbare
Dynamik.12 Und doch hat die digitale Umgebung unstreitig die Tendenz, diese Effekte zu verstär-
ken, Konformität der Lebensführung zu befördern und durch die Homogenität des Lebenskreises
Echokammern zu generieren, die über den Widerhall des Gleichen ähnliche Positionen validieren
oder verfestigen.13
IV. Das hochgerechnete Leben
Die Eigengesetzlichkeiten, denen individuelle Entfaltung in einer digitalen Umgebung unterwor-
fen ist, tun das Ihre, um diesen Befund zu ergänzen; innerhalb wie auch außerhalb virtueller
sozialer Netzwerke. Besonders deutlich mag das in dem von Eli Pariser unter der Bezeichnung
„Filterblasen“ prominent gemachten Phänomen hervortreten:14 Dass etwa idente Suchbegriffe in
der Google-Maske unterschiedlicher Browser mit hoher Wahrscheinlichkeit unterschiedliche Er-
gebnisse zu Tage fördern, weil der leistungsfähige Algorithmus der Suchmaschine das so heran-
getragene Anliegen nicht im Vakuum, sondern vor dem Hintergrund der Präferenzen und Inter-
essen, die er vergangenen Anfragen der Nutzerin oder des Nutzers entnimmt, verortet.15
Was auf einen ersten Blick im Verhältnis zum Vorhergesagten nicht als sonderlich konsequente
Fortsetzung der zuvor umschriebenen Kritik erscheinen mag, ist es auf einen zweiten durchaus.
Denn die Selbstbestimmtheit einer solcherart personalisierten Anfragebeantwortung kommt
auch in dieser Betrachtung stets zum Preis eines gewissen Maßes an Selbstreferentialität. Ein
wenig zynisch formuliert könnte man meinen: virtuell führen wir oftmals eben ein hochgerech-
netes Leben.
Dass ebendas, gerade in der politischen Dimension, einen denkbar fruchtbaren Nährboden für
die gegenwärtig so vielbeklagten postfaktischen Annahmen bietet, die die Debattenkultur ne-
gativ beeinflussen, ist alles andere als fernliegend. Echokammern und Filterblasen bieten frag-
9 Ein Verhalten, von dem der VfGH, 1. 7. 2016, W I 6/2016, Rz 536, annimmt, dass es „keinen Verstoß gegen den Grund-
satz der Freiheit der Wahl“ darstellt. Dem ist – so betrachtet – ohne Weiteres zuzustimmen. Fraglich (mE aber dem
Grunde nach zu bejahen) ist indes, ob (und gegebenenfalls inwieweit) der Gesetzgeber iSd positiven Verpflich-
tungen, die aus dem Grundsatz des geheimen Wahlrechts erwachsen (vgl insb VfGH G 18/85 VfSlg 10.412) nicht
gehalten ist, derartigen Praktiken entgegenzutreten, aus denen dem Individuum ohne Weiteres eine so offen-
kundige soziale Rechtfertigungslast erwachsen kann.
10 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft5 (1972) 709.
11 So bereits in diesem Zusammenhang Zöllner, Digitalisierung und Selbstbestimmung, tv diskurs 2016, 22 (23).
12 Womit keineswegs impliziert werden soll, dass reale und virtuelle soziale Netzwerke unverbunden neben einan-
der stehen – vgl zu den vielfachen Schnittpunkten der beiden Sphären etwa die Darstellung bei Boyd/Ellison,
Social Network Sites: Definition, History, and Scholarship, Journal of Computer-Mediated Communication 2007,
210 (221) mwN.
13 Dazu bereits Bezemek, Hate Speech, Shitstorm und Dschihad Online: Müssen die Grenzen der Meinungsfreiheit
neu vermessen werden? in Berka et al (Hrsg), Meinungs- und Medienfreiheit in der digitalen Ära: Eine Neu-
vermessung der Kommunikationsfreiheit (2017) 43 (52–54) mwN.
14 Pariser, The Filter Bubble: What the Internet Is Hiding from You (2011).
15 Vgl nur die rezente Darstellung bei Garcia-Rivadulla, Personalization vs. privacy: An inevitable trade-off? IFLA
Journal 2016, 227, sowie die Analysen von Eisenberger, Die Macht der Algorithmen: Der Verlust der Öffentlichkeit
durch Personalisierung im Netz, juridikum 2011, 517 und Mayrhofer, Google, Facebook & Co: Die Macht der Algo-
rithmen aus grundrechtlicher Perspektive, in Berka et al (Hrsg), Meinungs- und Medienfreiheit in der digitalen
Ära: Eine Neuvermessung der Kommunikationsfreiheit (2017).
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 2/2017"
Austrian Law Journal
Band 2/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 108
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal