Seite - 148 - in Austrian Law Journal, Band 2/2017
Bild der Seite - 148 -
Text der Seite - 148 -
ALJ 2/2017 Digitalisierung und Selbstbestimmung 148
gen.70 Unbekannt sind, wie zuvor bereits erwähnt, mitunter auch die ErfinderInnen des jeweiligen
Systems; dies ist zumindest beim bislang bedeutendsten Blockchain-basierten System, der Krypto-
währung Bitcoin, der Fall. In diesen softwarebasierten distribuierten Netzwerken setzen demzu-
folge die ProgrammiererInnen mit dem Code die normativen Standards.71 Das für die Netzwerk-
TeilnehmerInnen normativ relevante System ist kein staatlich gesetztes Recht, sondern ein von
mitunter unbekannten EntwicklerInnen aufgestelltes Regelwerk.72
Anders als im Bereich demokratisch legitimierter Gesetzgebung geschieht dies beim Entwickeln
Blockchain-basierter Systeme weitgehend ohne demokratische Legitimation und ohne demokra-
tische Kontrolle, regelmäßig mit dem Ziel, (zentrale) staatliche Institutionen oder staatlich legiti-
mierte Mittelspersonen zu beseitigen.73 Besonders augenfällig ist die Verfolgung dieses libertären
Ziels74 bei den mittlerweile unzähligen Kryptowährungen, die explizit ein Finanzsystem ohne
staatliche Legitimation und Kontrolle bezwecken.75 Vom Standpunkt einer rechtsstaatlichen De-
mokratie aus betrachtet, sollten derartige Wünsche und Vorstellungen gesellschaftlich breit dis-
kutiert werden und Wertentscheidung dieser Tragweite letztlich vom demokratisch legitimierten
Gesetzgeber entschieden werden.76
Neben den demokratischen Legitimationsdefiziten setzt ein staatlich entgrenztes System, in dem
die handelnden Personen unbekannt bleiben, rechtsstaatliche Demokratien vor zahlreiche
Herausforderungen. Personen, an die staatliche/rechtliche Steuerung anknüpfen kann, sind
regelmäßig nicht vorhanden, falls doch, sind sie aufgrund der mangelnden Einflussmöglichkei-
ten als rechtlicher Anknüpfungspunkt unzugänglich, staatliche Ingerenz- und Zugriffsmöglich-
keiten diffundieren.77 ProgrammiererInnen sind, selbst dann, wenn sie bekannt sein sollten,
aufgrund der globalen Natur der Blockchain-basierten Systeme regelmäßig nicht greifbar. All
dies verunmöglicht eine staatliche und rechtliche Steuerung dieser neuen Ordnungssysteme
bislang. Zentrale rechtliche Institute, wie die Person, Zurechenbarkeit oder Verantwortlichkeit,
verlieren ihre Wirkmächtigkeit.78 Der Staat und das Recht können BürgerInnen und ihre Interes-
sen zunehmend weniger schützen.79
Wenn die NetzwerkprogrammiererInnen und deren TeilnehmerInnen rechtlich kaum steuerbar
sind,80 bleibt die Frage, ob das technologische System ein rechtlicher Anknüpfungspunkt sein
70 Vgl Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Pachinger/Schneider, jusIT 2017, 132.
71 Vgl Spiecker, CR 2016, 696; Gruber/I. Eisenberger in I. Eisenberger/Lachmayer/G. Eisenberger 51; I. Eisenberger, Das Trol-
ley-Problem im Spannungsfeld autonomer Fahrzeuge: Lösungsstrategien grundrechtlich betrachtet, in I. Eisenberger/
Lachmayer/G. Eisenberger (Hrsg), Autonomes Fahren und Recht (2017) 91.
72 Vgl Lessig, Code 120 ff; allgemein dazu Robey, Contract Management Magazine 2017, 18 (26) mit Verweis auf
Swan, Blockchain: Blueprint for a New Economy (2015) 16 f.
73 Vgl Nakamoto, Bitcoin; Atzori, Blockchain Technology and Decentralized Governance: Is the State Still Necessary?
SSRN 2015, 4 abrufbar unter https://ssrn.com/abstract=2709713 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.2709713 (zu-
letzt abgefragt am 13. 11. 2017).
74 Siehe Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Pachinger/Schneider, jusIT 2017, 87 (88).
75 Vgl Huckle/White, Future Internet (2016) 49. Siehe idZ ferner Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Pachinger/Schneider,
Kryptowährungen, Blockchain und Smart Contracts (Teil I), jusIT 2017, 87 sowie Teil II, jusIT 2017, 129.
76 Allgemein zur Notwendigkeit demokratisch legitimierte Gesetzgebung iZm neuen Technologien siehe I. Eisenberger,
Innovation, insb 152 ff. Für eine zurückhaltende Regulierung im Bereich der Blockchain-Technologien spricht sich
hingegen Piska, Kryptowährungen und ihr Rechtscharakter – eine Suche im Bermuda-Dreieck, ecolex 2017, 632
aus.
77 Vgl Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Pachinger/Schneider, jusIT 2017, 129.
78 Vgl Spiecker, CR 2016, 696.
79 Vgl D. Tapscott/A. Tapscott, Blockchain 299.
80 Siehe idZ Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Zechner, ALJ 2017 (in Endredaktion).
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 2/2017"
Austrian Law Journal
Band 2/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 108
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal