Seite - 154 - in Austrian Law Journal, Band 2/2017
Bild der Seite - 154 -
Text der Seite - 154 -
ALJ 2/2017 Der digitalisierte Steuerpflichtige 154
soll, ist, dass das Steuerrecht an Lebenssachverhalte anknüpft, die vielfach komplex sind und die
dem Auge des Staates zunächst nicht ohne weiteres zugänglich sind.
Obwohl die Abgabenbehörden ganz im Sinne ihrer Zuordnung zur Eingriffsverwaltung die abga-
bepflichtigen Fälle zu erforschen und die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse von Amts
wegen zu ermitteln haben, die für die Abgabenpflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich
sind (§ 115 BAO), sind die Abgabepflichtigen ihrerseits gehalten, die für den Bestand und den
Umfang einer Abgabepflicht oder für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen maßgeb-
lichen Umstände offenzulegen (§ 119 Abs 1 BAO). Die Offenlegung muss vollständig und wahrheits-
gemäß erfolgen. Damit Steuern überhaupt im Sinne der Gesetze erhoben werden können, muss
der einzelne Steuerpflichtige umfassend mitwirken und der Finanzverwaltung eine Vielzahl perso-
nenbezogener Daten zur Verfügung stellen. Personenbezogene Daten sind nämlich alle Informa-
tionen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Als identifi-
zierbar werden Personen angesehen, die direkt oder indirekt, insb mittels Zuordnung zu einer Ken-
nung wie etwa einem Namen, identifiziert werden können (Art 4 Z 1 DSG-VO; § 4 Z 1 DSG 2000).
Dass im Besteuerungsverfahren eine Vielzahl personenbezogener Daten übermittelt werden, ist
zu einem Großteil unserem Gerechtigkeitskonzept geschuldet. Eine Steuer, die sich etwa nach
der Anzahl der Fenster bemisst, wäre wesentlich einfacher zu erheben und würde wesentlich
weniger personenbezogener Daten des einzelnen bedürfen, würde aber den modernen Gerech-
tigkeitsvorstellungen in keiner Weise Rechnung tragen.
Da Steuern jeden treffen, ist Steuerrecht Massenfallrecht in der deutschen Ausdrucksweise, auf
Österreichisch handelt es sich schlicht um ein Massenverfahren. Dieses Massenverfahren war
mit eingeschränkten staatlichen Ressourcen bereits im Jahr 1965 nicht auf denselben Wegen zu
bewältigen wie andere Bereiche des Eingriffsrechts. Vor diesem Hintergrund hegte der VfGH
bereits im Jahr 1965 keine Bedenken dagegen, dass die Rechtskraft von Bescheiden im Abgaben-
recht eine schwächere Ausprägung erfahren hat als im allgemeinen Verwaltungsrecht.20 Er hielt
es für gleichheitsrechtlich unbedenklich, dass die Abgabenbehörden einen Abgabenbescheid bis
zum Ablauf eines Jahres nach dessen Verkündung nach jeder Richtung, also auch zu Lasten des
Einzelnen, ändern dürfen.21 Das ist bis heute so geblieben und die Instrumente haben sich ange-
sichts der digitalen Möglichkeiten weiterentwickelt.22
Im Unterschied zu Kirchhof halte ich das für die einzige realistische Möglichkeit, den Steuervollzug
effizient auszugestalten. Mit Kirchhof bin ich aber der Meinung, dass bei der Ausgestaltung eines
digitalen Vollzugs das Legalitätsprinzip und die Grundrechte, insb das Recht auf Schutz des Pri-
vatlebens bzw das Grundrecht auf Datenschutz zu beachten sind. Anders als Kirchhof sehe ich
gerade das Grundrecht auf Datenschutz innerhalb der EU nicht durch den automatischen Infor-
mationsaustausch von Finanzdaten gefährdet oder gar verletzt.23
Um die „Massenhaftigkeit“ des Steuerrechts im Vollzug zu bewältigen, dienten schon zu Zeiten, zu
denen die Digitalisierung nicht existierte, insb Abgabenerklärungen, Anmeldungen, Anzeigen, (...)
der Offenlegung im Rahmen der Mitwirkungspflichten (§ 119 Abs 2 BAO). Die Abgabenerklärung
20 VfGH G 24/64 VfSlg 4986 = JBl 1966, 217.
21 VfGH G 24/64 VfSlg 4986 = JBl 1966, 217; ausdrücklich bestätigt durch VfGH G 5/88 VfSlg 11.865.
22 Ehrke-Rabel, Rechtskraft bei inhaltlich zusammenhängenden Bescheiden im Abgabenverfahren, in Holoubek/Lang
(Hrsg), Rechtskraft (2007) 216; Ehrke-Rabel/Hödl, Steuerbescheid und behördliches Profiling, DAKO 2017, 59.
23 Kirchhof, Der digitalisierte Steuerzahler, ALJ 2/2017, 125.
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 2/2017"
Austrian Law Journal
Band 2/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 108
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal