Seite - 74 - in Austrian Law Journal, Band 2/2018
Bild der Seite - 74 -
Text der Seite - 74 -
ALJ 2018 Das „Geburtshaus Hitlers“ in Braunau am Inn 74
Je nach Wahrnehmung des Hauses, könnte das Haus unter die gerade genannte völkerrechtliche
sowie verfassungsgesetzlich verankerte Bestimmung als verpönte Spur des Nazismus subsumiert
werden. Die Pläne, das Haus abzureißen, könnten sich bspw einer derartigen Position anhängen.
Radikale Stimmen könnten sogar argumentieren, dass aus dieser Haltung ein verfassungsrechtli-
ches Gebot folgt. Das wäre aber wohl etwas verkürzt gedacht. Obwohl das Gros der Medienbe-
richterstattung sowie die allgemeine Diskussion um das Haus den Eindruck vermitteln, dass wir
es mit dem „Hitler Haus“ zu tun haben, ist es dennoch nicht so einfach, ein Objekt, welches seit
dem 17. Jhd existiert und auch weiterhin Bestand hat, auf sechs Wochen seiner Geschichte zu
reduzieren, in denen ein kleines Kind in dem Haus geboren wurde und gewohnt hatte – auch
wenn dieses zunächst unscheinbare Kleinkind zu der Schreckensgestalt des letzten Jahrhunderts
wurde. Zugegeben, die Zeit vom 20. 4. bis zum 4. 5. 1889 dominiert die heutige Wahrnehmung
des Hauses. Sie ist schließlich auch der Ausgangspunkt für diesen Aufsatz. Das öffentliche Inte-
resse an diesem Haus (und dessen Überführung ins Staatseigentum) ist daran angeknüpft. Es
liegt darin zu gewährleisten, dass es nicht für nazistische Propaganda missbraucht wird. Das
öffentliche Interesse richtet sich also gegen eine Zuschreibung zu diesem Objekt.43 Erst der spezi-
fisch historische Kontext hat dem Objekt zu diesem Bekanntheitsgrad verholfen.
Festgehalten werden kann bisher, dass eine verfassungsrechtliche Pflicht besteht, die Spuren des
Nazismus zu entfernen. Wird das Haus an sich als eine solche Spur identifiziert, wäre das Gebot
diese Spuren zu beseitigen auch diesbezüglich einschlägig. Wird die Symbolik des Hauses, also
das was ihm zugeschrieben wird, als Spur identifiziert, ist es die Nutzung, auf die es ankommt.
Vom VfGH wurde eine weitere Verfassungsbestimmung, § 3 VerbotsG, angeführt, um das öffent-
liche Interesse in diesem Fall zu begründen.
b. Das bundesverfassungsgesetzliche Wiederbetätigungsverbot gem § 3 VerbotsG
Der Zweck des VerbotsG war die NSDAP und ihre Neubildung zu verbieten (§ 1 VerbotsG).44 Das
inkludiert die Untersagung der Betätigung im Sinne ihrer Ziele (§ 3 VerbotsG). Dies wird konkreti-
siert durch § 3a-j VerbotsG.45 Das Verbot, sich „für die NSDAP oder ihre Ziele irgendwie zu betätigen“
(§ 3 VerbotsG) bringt deutlich staatliches Interesse zum Ausdruck. Jegliche Wiederbetätigung ist
unter Strafe verboten. Dieses „im Verfassungsrang stehende[] Verbotsgesetz[ ist] ein unmittelbar
wirksames, von jedem Staatsorgan im Rahmen seines Wirkungsbereiches zu beachtendes Verbot [...];
jegliche Akte der Wiederbetätigung sind ausnahmslos rechtswidrig.“46 Darin kann ein starkes öffentli-
ches Interesse – verkörpert durch den Staat – erblickt werden.47
43 Vgl allerdings die Erläuterungen zum Bundesgesetz über die Enteignung, welche in diesem Punkt etwas über-
zeugter formulieren: „Diese Tatsache [die Geburt Adolf Hitlers in diesem Haus] macht es zum zentralen Objekt neona-
zistischer Erinnerungskultur und einem für die rechtsextreme Ideologie identitätsstiftenden Ort. Die besondere Verant-
wortung der Republik Österreich dafür zu sorgen, dass das Objekt nicht zu neonazistischer Agitation missbraucht wird,
resultiert grundlegend aus dem Staatsvertrag von Wien (insb. Art. 9 und 10).“
44 Vgl allg dazu Birklbauer/Kneihs in Kneihs/Lienbacher (Hrsg), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht V
(13. Lfg 2014) Art I Verbotsgesetz Rz 9 „Das Verbotsgesetz sollte nach alledem gewiss ein Grundstein für die wieder zu
errichtende Demokratie sein.“ Sowie insb zum Verbot der Neubildung Rz 24.
45 Vgl zum geschichtlichen Kontext dieses Gesetzes und seiner Anwendung Bailer, Das „Wiederbetätigungsverbot“
als politisch-gesellschaftliche Gegenstrategie, in Melzer/Serafin (Hrsg), Rechtsextremismus in Europa: Länderana-
lysen, Gegenstrategien und arbeitsmarktorientierte Ausstiegsarbeit (2013) 297 (301–312).
46 VfSlg 20.186/2017 Rz 31 mwN auf VfSlg 10.705/1985.
47 Vgl dazu allg zur Rechtfertigung des Eingriffes durch § 3a Z 1 VerbotsG in das Grundrecht der Vereinsfreiheit gem
Art 12 StGG bzw Art 11 EMRK Birklbauer/Kneihs in Kneihs/Lienbacher, B-VG Art I Verbotsgesetz Rz 33: „das Verbot der
Aufrechterhaltung und Wiederbegründung der in Rede stehenden aufgelösten Organisationen [ist] angesichts der Un-
geheuerlichkeit der Verbrechen, die ihnen zur Last fallen, sowohl im Interesse der öffentlichen Sicherheit als auch der
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 2/2018"
Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal