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ALJ 2018 Das „Geburtshaus Hitlers“ in Braunau am Inn 80
An diese Unsicherheit schließt sich die Beurteilung der Frage an, ob die Enteignung auch das
gelindeste Mittel war, um diesem Zweck nachzukommen.
b. Das Prinzip der Enteignung als ultima ratio (Subsidiarität)
Schließlich muss es unmöglich sein, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken.69 Das
bedeutet, eine Enteignung ist nicht verfassungskonform, insofern es „eine gleichwertige Alternative
gibt, mit deren Hilfe ohne Enteignung das konkrete öffentliche Interesse in gleicher Weise erreicht wer-
den kann.“70
Die Expertenkommission stellte diesbezüglich fest, dass: „vor allem durch den Kündigungsver-
such des Mietvertrages durch die Eigentümerin sowie potentielle Eigentumsübertragungen an Dritte
[…] das Bestreben der Republik Österreich gefährdet [ist], sicherzustellen, dass mit dem Objekts [sic]
in einer Weise verfahren wird, die auf Dauer einer nationalsozialistisch geprägten Vereinnahmung
entgegen wirkt.“71 Das einschlägige Verhalten der ehemaligen Eigentümerin, welches schluss-
endlich zu der Legalenteignung geführt hat und weniger einschneidende Maßnahmen wie
bspw einen privatrechtlichen Erwerb oder Ähnliches als unmöglich erscheinen ließ, kann nur
schwer ohne Hintergrundinformationen beurteilt werden. Der VfGH, welcher im gegebenen
Normprüfungsverfahren volle Kognitionsbefugnis hat,72 sah die geschilderten Umstände, dass
mit der Eigentümerin eine Übereinkunft zu Umbauarbeiten bzw einer vom Bundesministerium
für Inneres uneingeschränkt vorgenommenen Untervermietung nicht möglich war, (implizit) als
gegeben an.73
Die ErläutRV zum EnteignungsG betonen, dass der Zweck nur erfüllt werden kann, wenn „die
Republik Österreich Eigentümerin des Objektes ist, um in Zukunft andere Personen von einer (straf-)
gesetzwidrigen oder in sonstiger Weise dem Ansehen der Republik Österreich schadenden Nutzung des
Objekts“ auszuschließen.74 Der VfGH beruft sich auf die Feststellung der Expertenkommission: Die
mit dem Haus „verbundene besondere Symbolkraft kann nachhaltig und effektiv nur beseitigt werden,
wenn es – so die Empfehlung des Abschlussberichts der Kommission vom Oktober 2016 – zu einer tief-
greifenden architektonischen Umgestaltung kommt, um dem Objekt den Wiedererkennungswert und
die Symbolkraft zu entziehen.“75 Eben diese Umgestaltung wurde als Grund angeführt, weshalb das
Eigentum und das gemäß § 354 ABGB damit verbundene Recht „mit der Substanz und Nutzung
einer Sache ‚nach Willkühr zu schalten‘“ zwingend notwendig ist, um das öffentliche Interesse an
der Sache zu decken.76
69 So bereits VfSlg 3666/1959; 13.579/1993; 16.753/2002; 18.890/2009.
70 Korinek in Merten/Papier/Kucsko-Stadlmayer 645 siehe ebenda für den Hinweis auf den EGMR, welcher einen
„wesentlich weiteren Beurteilungsspielraum“ zugesteht und nur „ohne offensichtliche Begründung durchgeführte“ Ent-
eignungen für konventionswidrig hält.
71 Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers.
72 VfSlg 20.186/2017 Rz 23.
73 Siehe dafür die Schilderungen der Bundesregierung VfSlg. 20.186/2017 Rz 6, welche vom VfGH implizit anerkannt
wurden, weil er (Rz 35), „nur durch uneingeschränkte Ausübung des Eigentumsrechts eine der möglichen Optionen
entsprechende Nutzung der Liegenschaft iSd Empfehlung des Abschlussberichtes der Kommission zum historisch kor-
rekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers“ für umsetzbar hält.
74 ErläutRV 1250 BlgNR 25. GP.
75 VfSlg 20.186/2017 Rz 33.
76 VfSlg 20.186/2017Rz 36.
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Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal