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ALJ 2018 Katharina Huber 98
Hinweis in den Erwägungsgründen für eine rechtsaktübergreifende Auslegung findet sich bspw in
ErwGr 24 der Rom I-VO, wonach das Kriterium des „Ausrichtens“ des Verbraucherstatutes iSd Art
6 Rom I-VO in Übereinstimmung mit Art 15 Abs 1 lit c EuGVVO 200061 (nunmehr Art 17 EuGVVO
2012) auszulegen ist.
Von oben genannten Literaturmeinungen abweichend, steht dem fragmentarischen Charakter
daher nicht entgegen, dass das Privatrecht der EU als ein System von kohärenten Normen oder
zur Verwirklichung eines solchen Systems interpretiert werden sollte. Vielmehr ist im Einzelfall zu
prüfen, ob Anhaltspunkte für eine Kohärenz zwischen den fraglichen Regelungen (hier: den Best-
immungen über den Verbraucherbegriff) der betreffenden Rechtsakte (hier: VGK-RL und VRRL) im
Hinblick auf Dual-Use-Verträge bestehen. In Bezug auf diese Prüfung sind die Voraussetzungen
der rechtsaktübergreifenden Auslegung näher in den Blick zu nehmen.
ii. Voraussetzungen der rechtsaktübergreifenden Auslegung
Die Wechselbezüglichkeit zwischen den Rechtsakten62 bzw der Wille zur Kohärenz werden in der
Literatur als Voraussetzung für die rechtsaktübergreifende Auslegung formuliert. Gruber führt zur
Wechselbezüglichkeit aus: Je mehr die einzelnen Regelungssysteme und die verwendete Rechts-
terminologie aufeinander abgestimmt sind, desto eher wird eine systematische Auslegung im
Verhältnis einzelner Regelungssysteme möglich sein.63 Der Grad der „Aufeinanderbezogenheit“
einzelner Rechtssysteme sei das entscheidende Kriterium dafür, ob und wie rechtsaktübergrei-
fende Auslegung möglich ist.64 Dies sei im Einzelfall zu bestimmen.65
Im Hinblick auf die Wechselbezüglichkeit als Voraussetzung der rechtsaktübergreifenden Ausle-
gung wird herkömmlich die Frage gestellt, ob der Rechtssetzer die auszulegende Norm so ver-
standen wissen wollte, dass die Anordnungen kohärent sind mit den Anordnungen in der Refe-
renznorm.66 Dieser Wille zur Kohärenz wird bei Normen und Rechtsprinzipien desselben Gesetzgebers
überwiegend vermutet:67
Martens betont allgemein zur systematischen Auslegung im Unionsrecht, dass eine Interpretation,
die die Folgerichtigkeit und innere Einheit anstrebt, regelmäßig dem Willen des Gesetzgebers
entspricht.68 Der Gesetzgeber wolle sein Werk „als möglichst harmonische und in sich stimmige
Schöpfung“ verstanden wissen.69 Nach Riesenhuber sei rechtsaktübergreifend ein Systembil-
dungswille innerhalb des Sekundärrechts erkennbar, weshalb eine rechtsaktübergreifende Aus-
legung in Betracht komme. Da sich für einzelne Regelungsbereiche auch eine innere Ordnung
entnehmen lasse und Regelungen und Regelungsakte als vom Gesetzgeber „zusammenhängendes,
2201/2003 des Rates vom 27. 11. 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Ent-
scheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der
Verordnung (EG) 1347/2000, ABl L 2003/338, 1.
61 VO (EG) 44/2001 des Rates vom 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Voll-
streckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl L 2001/12, 1.
62 Grundmann, RabelsZ 2011, 904 ff; Gruber, Methoden des Internationalen Einheitsrechts (2004) 158.
63 Gruber, Methoden 158.
64 Gruber, Methoden 158
65 Gruber, Methoden 158; Kropholler, Internationales Einheitsrecht (1975) 273.
66 Grundmann, RabelsZ 2011, 903 f.
67 Grundmann, RabelsZ 2011, 904 mwN; Gruber, Methoden 158.
68 Martens, Methodenlehre 415.
69 Martens, Methodenlehre 415 f, 430 f.
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Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal