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ALJ 2018 Katharina Huber 100
rechts nach dem Willen des Gesetzgebers und nach diesem verfolgten Zweck auszulegen. An-
haltspunkte dafür liefern in den Sekundärrechtsakten Begründungserwägungen, Begründungen
zu Kommissionsvorschlägen und Änderungen im Gesetzgebungsverfahren.77 Es kann aber auf-
grund von rechtlichen, ökonomischen, technischen oder sozialen Entwicklungen eine Aktualisie-
rung des Gesetzeszweckes geboten sein.78 Objektive Erwägungen, wie Veränderungen der tat-
sächlichen Verhältnisse, vor allem des rechtlichen Umfeldes, sind zu berücksichtigen.79
Bei der Frage, ob eine Kohärenz zwischen den Rechtsakten, hier zwischen VGK-RL und VRRL,
besteht, die eine rechtsaktübergreifende Auslegung rechtfertigt, sind daher sowohl der subjektive
Gesetzgebungswille heranzuziehen als auch objektive Erwägungen vorzunehmen. Es zeigt sich
dabei das Zusammen- und Wechselspiel der rechtsaktübergreifenden Auslegung mit anderen
Auslegungsmethoden. Wie Grundmann ausführt, besteht zwischen Wortlautauslegung und syste-
matischer Auslegung insofern ein Wechselspiel, als nach dem Gesagten eine Vermutung für die
gleiche Auslegung gleicher Begriffe desselben Gesetzgebers besteht.80 Es ist aber mE im Einzelfall
zu prüfen, ob eine Kohärenz bzw eine Wechselbezüglichkeit zwischen den einzelnen Rechtsakten
besteht, die für eine rechtsaktübergreifende Auslegung spricht. Es sind bei dieser Prüfung auch
historische und teleologische Argumente zu untersuchen. Ausgangspunkt bildet – im Einklang mit
der Vereinigungstheorie – der Gesetzgeberwille. Im gegenständlichen Fall wird daher zunächst
ein Blick in die Begründungserwägungen geworfen und nach Hinweisen in den Erwägungsgrün-
den gesucht (iii; iv).
Des Weiteren ist nach objektiven Anhaltspunkten für eine Systembildung zu suchen. Es zeigt sich
dabei ein Zusammenspiel auch im Verhältnis zwischen systematischer insb rechtsaktübergreifender
und objektiv-teleologischer Auslegung. Der EuGH betonte: „Schließlich ist jede Vorschrift des Gemein-
schaftsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts,
seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszu-
legen.“81 Es sind daher bei der Beurteilung des Zusammenspiels von Normen oder Rechtsakten
im Sinne einer am inneren System orientierten Auslegung auch das Regelungsganze und die den
Normen oder Rechtsakten zugrunde liegenden Wertungen oder Prinzipien und Wertungszusam-
menhänge miteinzubeziehen. Weitere objektive Erwägungen, wie Veränderungen der tatsächli-
chen Verhältnisse, vor allem des rechtlichen Umfeldes, sind, wie oben ausgeführt, ebenso bei der
rechtsaktübergreifenden Auslegung zu berücksichtigen.82 Zu beachten ist nämlich der evolutive
Charakter des Unionsrechts: Soweit der Europäische Gesetzgeber bei einer späteren Ergänzung
des Europäischen Privatrechts nicht auch andere bestehende Rechtsvorschriften ändert, besteht
zwar zunächst ein Anzeichen dafür, dass sich diese anderen Vorschriften nicht verändern. Bei
einer am inneren System orientierten Auslegung können aber auch diese anderen Vorschriften
ohne Änderung des Textes durch die Ergänzung des Europäischen Privatrechts beeinflusst wer-
77 Riesenhuber in Riesenhuber3 § 10 Rz 11; Heeresthal, ZEuP 2009, 606 f; Martens, Methodenlehre 457 ff; Henninger,
Europäisches Privatrecht und Methode, Entwurf einer rechtsvergleichend gewonnenen juristischen Methoden-
lehre (2009) 278 f.
78 Herresthal, Die teleologische Auslegung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie: Der EuGH auf dem Weg zu einer
eigenständigen Methode der Rechtsgewinnung, Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 17. April
2008, ZEuP 2009, 598 (606); Larenz/Canaris, Methodenlehre 153; Kramer, Juristische Methodenlehre2 (2005) 130 f.
79 Riesenhuber in Riesenhuber3 § 10 Rz 11. Ihm zufolge sei dies aufgrund des teils nachweisbaren, allenfalls zu ver-
mutenden Systembildungswillens berechtigt.
80 Grundmann, RabelsZ 2011, 903 f.
81 EuGH 6. 10. 1982, C-283/81, CILFIT und Lanificio di Gavardo /Ministero della Sanità Rz 20.
82 Riesenhuber in Riesenhuber3 § 10 Rz 10.
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Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal