Seite - 116 - in Austrian Law Journal, Band 2/2018
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ALJ 2018 Modernisierung des ABGB 116
be so „in lebendigem Fluss und [könne] den wechselnden Bedürfnissen des Lebens angepasst
und zeitgemäß fortgebildet werden“10.
Auf der anderen Seite – das letzte Zitat schlägt die Brücke – hat man schon relativ früh bemän-
gelt, dass das Gesetzbuch in die Jahre gekommen ist. Ganz generell und bereits vor Inkrafttreten
des ABGB sah es Zeiller11 als angebracht an, dass „nach Ablauf mehrerer Jahre die Gesetze […]
einer neuen Kritik unterzogen werden müssen, um sie nach den Fortschritten des Zeitalters, dem
Grade der Kultur, nach den neueren Anstalten in verwandten Zweigen der Regierungsgeschäfte
und den übrigen veränderten Umständen zu verbessern“. 1904 hat dann Joseph Unger12 mit Blick
auf das damals schon knapp 100 Jahre in Geltung stehende ABGB ausdrücklich von Reformbe-
dürftigkeit gesprochen. Etwas blumiger drückt sich in jüngerer Zeit etwa Posch13 aus, wenn er
feststellt, das ABGB könne nach bald 200-jähriger Geltungsdauer sein hohes Alter nicht mehr
verheimlichen; auch bei Gesetzbüchern gehe die Lebenskraft allmählich in Altersschwäche über.
Doch worin liegen die beklagten Alterserscheinungen und -beschwerden14 nun konkret? Bereits
vor über 110 Jahren stellte Unger dazu eine meines Erachtens punktgenaue und erstaunlich prä-
zise Diagnose auf: Er wies darauf hin,15 dass Rechtsnormen Produkte der geschichtlichen Ent-
wicklung, Erzeugnisse des wirtschaftlichen und geistigen Lebens einer bestimmten Kulturperiode
seien;16 eine Änderung der ökonomischen Verhältnisse und der geistigen Atmosphäre müsse
auch auf die (Privat-)Rechtsordnung Einfluss haben. Und weiter:17 Die technische, spezifisch juris-
tische Konzeption des ABGB könne man als seine wohl schwächste Seite bezeichnen; seine Sys-
tematik sei verfehlt. Das juristische Alphabet sei ein anderes geworden, die juristische Sprache,
derer sich das Gesetzbuch bediene, sei „nicht mehr ganz die unsere“; „unsere juristische Be-
griffswelt hat sich umgebildet.“
III. Modernisierungsaspekte und Modernisierungsmaßnahmen
A. Ausgangsüberlegungen
Damit (FN 15, 17) hat Unger schon 1904 angedeutet, was wohl auch P. Bydlinski 2015 seinem
Forschungsprojekt als Ausgangsgedanken zugrunde gelegt hat, nämlich, dass eine Modernisie-
rung des ABGB unter verschiedenen Aspekten betrieben werden sollte. Wie von Unger eingefor-
dert, sollte die Modernisierung Reaktion auf zwei ganz unterschiedliche Alterungsprozesse sein:
10 Unger, GrünhutsZ 31, 400 = Separat-Abdruck 12; in diesem Sinne in jüngerer Zeit auch Welser, JBl 2012, 207:
„großzügige elastische Regelungen“.
11 Jährlicher Beytrag zur Gesetzkunde und Rechtswissenschaft in den Oesterreichischen Erbstaaten I (1806) 95; zust
Unger, GrünhutsZ 31, 402 = Separat-Abdruck 14 f.
12 GrünhutsZ 31, 395 = Separat-Abdruck 7.
13 Posch, Das zweihundertjährige ABGB und das Europäische Vertragsrecht, ZEuP 2010, 40 (49).
14 Sehr bildlich spricht auch Schauer, 200 Jahre und immer noch weise? – Von der Lebenskraft des ABGB heute, JBl
2012, 23 (27), dass das ABGB heute als schrulliger Methusalem auftritt, der es nicht lassen kann, von den alten
Zeiten zu schwärmen.
15 Unger, GrünhutsZ 31, 396 = Separat-Abdruck 8 f.
16 Ähnlich auch J. Ofner, Die Revision des allgemeinen bürgerl. Gesetzbuches (1907) 8: „Man hat das vergangene
Jhdt das naturwissenschaftliche, das politische, das soziale genannt, man könnte es auch als das revolutionäre
bezeichnen. Es brachte eine große und grundlegende Umwälzung auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Le-
bens, eine politische, aber auch eine wirtschaftliche, eine soziale und wissenschaftliche Umwälzung. Alles das
aber – das versteht sich bei der sozialen Schaffung des Rechtes von selbst – alles das legt sich nieder in dem In-
halt des Rechtes und selbst in seinen Formen.“
17 Unger, GrünhutsZ 31, 401 = Separat-Abdruck 13.
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Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal