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ALJ 2018 Modernisierung des ABGB 130
abstrakte Regeln vermitteln lassen, erarbeiten und erlernen kann.33 Internationale Beispiele, zu
einem großen Teil basierend auf dem Konzept der Klarsprache, zeugen von zahlreichen seriösen
Versuchen.34 In Ă–sterreich hat sich das Bundeskanzleramt bereits 1990 in dieser Richtung enga-
giert und ein Handbuch zur Rechtssetzungstechnik herausgegeben, in dem „legistische Richtli-
nien“ für die Rechtssprache formuliert sind.35 Wer diese Richtlinien etwas näher studiert, wird
wahrscheinlich meinen Eindruck teilen, dass es unpassend wäre zu sagen, in Österreich sei die
Arbeit damit bereits getan. So findet sich in diesen Richtlinien etwa die (sogar auĂźerordentlich
streng formulierte) Regel, dass innerhalb eines Paragrafen „keinesfalls mehr als acht Absätze
gebildet werden“ dürfen (Pkt 13 der Richtlinien) und dass „der in einem Paragraphen zusammen-
gefasste Text […] nicht länger als zwei eineinhalbzeilig beschriebene Seiten (rund 3500 Anschläge)
sein“ soll. Nicht sehr viel hilfreicher Neuigkeitswert kommt auch den Vorgaben dieser Richtlinien
hinsichtlich des Textaufbaus zu. Danach sollen „Rechtsvorschriften […] in systematischer, klar
geordneter Abfolge aufgebaut sein und keine Brüche aufweisen“ (Pkt 12 der Richtlinien); dass
dem so sein soll, wird sich wohl niemand zu widersprechen trauen. Manch ein Legist wĂĽrde ver-
mutlich gerne weitere und vor allem konkretere Anleitungen als Hilfestellung annehmen.
Zuzugeben ist wohl, dass abstrakte und objektivierte Vorgaben für die Verständlichkeit von
Rechts-/Gesetzestexten nicht leicht zu formulieren sind. Damit ist aber auch die Formulierung
von Rechts-/Gesetzestexten mit optimaler Verständlichkeit schwer machbar und im Hinblick auf
das Kriterium der Verständlichkeit auch kaum objektiv messbar. Nicht zuletzt aus diesem Grund
ist P. Bydlinskis36 Zugang, wonach es im Rahmen seines Forschungsprojekts unmöglich und an-
maßend wäre, perfekte Neuformulierungen anzustreben, pragmatisch und sympathisch; es solle
bloß versucht werden – so P. Bydlinski –, auf Basis des Vorhandenen das (relativ) Beste zu finden.
Dass Gesetzestexte nicht selten sehr weit von der machbaren Verständlichkeit entfernt bleiben,
muss aber – das sei hier noch erwähnt – keineswegs auf fehlende Formulierungsanleitungen, auf
ein Unvermögen der Legisten oder auf Zeitdruck bei der Gesetzesgenese zurückzuführen sein.
Wie etwa Öhlinger nachvollziehbar herausstreicht, sind Verständlichkeit und Präzision vom Norm-
setzungsorgan oft gar nicht gewollt:37 Politisches Tauziehen ziele nicht selten darauf ab, eine
Norm unpräzise zu formulieren; die sprachliche Qualität einer Rechtsvorschrift nehme daher
direkt proportional mit dem Engagement des jeweiligen Beschlusskörpers ab, denn die Volksver-
treter seien keine Legisten. Ob die fehlende Verständlichkeit von Gesetzestexten immer nur ein
Fluch ist oder auch ein Segen sein kann, darĂĽber kann man geteilter Meinung sein. Martini38 etwa
hat vor solchen unerwĂĽnschten HintertĂĽren fĂĽr den Rechtsanwender gewarnt: Gesetze sollen
„[d]eutlich und bestimmt [sein], damit sie nicht durch Auslegung verdrehet werden können.“
33 Öhlinger, Sprache und Recht – eine Problemskizze, in Öhlinger (Hrsg), Recht und Sprache (1986) 25 (29 f).
34 Muhr, Strategien der Reformulierung von Rechtstexten und ihr Einsatz in der Ausbildung von Ăśbersetzern und
Dolmetschern, in Blachut (Hrsg), Sprachwissenschaft im Fokus germanistischer Forschung und Lehre (2013) 309
(312 f mwH).
35 https://www.justiz.gv.at/web2013/file/2c94848a60c158380160e4e3747c0c33.de.0/legrl1990.pdf (Zugriff am 7. 11.
2018).
36 ÖJZ 2015, 70 FN 8; P. Bydlinski, Zur sprachlichen Modernisierung des Erbrechts im ABGB, in Rabl/Zöchling-Jud
(Hrsg), Das neue Erbrecht 13 (18); zust Jeremias, ABGB-Vorschriften ĂĽber das Eigentumsrecht 3.
37 Ă–hlinger in Ă–hlinger, Recht und Sprache 28.
38 Des Freiherrn von Martini allgemeines Recht der Staaten (1788) 34.
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Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal