Seite - 174 - in Austrian Law Journal, Band 2/2021
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ALJ 2021 Kepplinger 174
Demgegenüber misst der Gesetzgeber dem Schutz des Vertrauens auf die Gültigkeit der
Vereinbarung größeren Stellenwert als dem
Äquivalenzgedanken bei, sofern letzterer nicht eine Zwangslage, Verstandesschwäche,
Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung des Verkürzten vorsätzlich oder fahrlässig
ausgenützt hat (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB).170 Das zeigt sich schon daran, dass ein schlichter
Wertirrtum herrschend als bloßer Motivirrtum klassifiziert wird171), dem im Bereich des § 871
ABGB keine Beachtlichkeit zukommt.172
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Gesetzgebers jedoch größerer Respekt zu zollen, weil die Wertungsentscheidungen allesamt
im Rahmen der III. TN getroffen (§§ 871, 879 Abs 2 Z 4 ABGB) bzw neuerlich überdacht
(§§ 934 f ABGB) wurden: Die Kommission für Justizgegenstände beschäftigte sich im Zuge der
eingehend mit der Frage, welchen Stellenwert der
Wahrung des Äquivalenz- bzw Symmetrieprinzips im Vertragsrecht zukommen soll, wobei
man auch systematische Überlegungen anstellte:174 Bei diesen ging es einerseits darum, den
geplanten Wuchertatbestand mit der strafbaren Handlung des
175 Andererseits stellte sich die
Frage, ob dem Äquivalenzprinzip im Zivilrecht durch den Wuchertatbestand allein
hinreichend Rechnung getragen wird, was die Kommission verneinte. Sie sprach sich für eine
Koexistenz von Wuchertatbestand und aus.176
In Anbetracht der systematischen Überlegungen scheint es auch wegen der thematischen
Nähe unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber bei seinen Erwägungen zur Wahrung des
Äquivalenzprinzips den neu konzipierten Irrtumstatbestand außer Betracht ließ. Wie gezeigt,
befürwortete man bei diesem zwar das Recht einer Irrtumsaufklärung ; verneinte
jedoch die Möglichkeit, den Zustand nachträglich wiederherzustellen.177 Setzt man
sich für Fälle einer erheblichen, irrtumsbedingten Äquivalenzstörung über diesen Entschluss
hinweg, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, die gesetzgeberische Entscheidung zum
Verhältnis zwischen der Wahrung des Äquivalenzprinzips und dem Vertrauens- bzw
Verkehrsschutz . Es ist vor allem dieser Aspekt, der mE gegen
die Redintegrationslehre von spricht. Fraglich ist jedoch, ob eine Redintegration
bei unentgeltlichen Geschäften möglich ist.
170 Allgemein zum Regelungskonzept sowie zu den drei Elementen des Wuchertatbestands bspw in ,
ABGB-ON1.05 (2019) § 879 Rz 259-275; in Schwimann/Kodek, ABGB 4 § 879 Rz 20-29.
171 Siehe für die ganz hA nur OGH 6 Ob 618/92 EvBl 1993/170; 3 Ob 111/09h = JBl 2010, 180; 1 Ob 85/16f ecolex 2016/449
( ); RIS-Justiz RS0014920; Lauterkeitsrecht und Irrtumsanfechtung, FS Griss (2011) 65 (73 f)
in Rummel/Lukas ABGB4 § 871 Rz 16; / Bürgerliches Recht I15 Rz 483; in , ABGB-
ON1.03 § 871 Rz 25-27; anderes wird dann angenommen, wenn dem Geschäft erkennbar ein Markt- oder Börsenpreis
zugrunde gelegt wurde (s dazu bspw in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 871 Rz 16). Siehe dazu auch ,
Bemerkungen zum Irrtum über den Wert, in FS Pedrazzini (1990) 343-353 mit rechtstheoretischer und rechtsvergleichender
(ABGB/BGB/OR) Betrachtung.
172 Anders gestaltet sich die Situation bekanntlich im Bereich der Vertragsanfechtung wegen List (§ 870 ABGB).
173 Privatautonomie 181.
174 HHB 263-265.
175 HHB 263 f.
176
gebenden Gründen zuletzt , Laesio enormis 111 f.
177 Pkt III.E.
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Austrian Law Journal
Band 2/2021
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2021
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 48
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal