Seite - 177 - in Austrian Law Journal, Band 2/2021
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ALJ 2021 Redintegration 177
darauf, dass bei unentgeltlichen Geschäften auch Motivirrtümer beachtlich sind. Die
Anfechtung sei jedoch vom Vorliegen einer der drei Alternativen des § 871 Abs 1 ABGB
abhängig zu machen.
Dieser Argumentation folgt der OGH191 mE zu Recht: Erhellend sind hier nicht nur
historische,192 sondern vor allem systematische Erwägungen: Diesbezüglich weist
193 treffend darauf hin, dass § 871 ABGB nicht zwischen entgeltlichen und
unentgeltlichen Rechtsgeschäften differenziert. Erst die §§ 917 ff ABGB gelten laut
Überschrift allein für entgeltliche Verträge. Hinzu tritt, dass sowohl die Redaktoren des
ABGB194 als auch allein in seinem Kommentar195 bei der Erörterung von Fragen des
Irrtumsrechts Beispiele anführen, die Fehlvorstellungen bei unentgeltlichen
Rechtsgeschäften betreffen. Es sind va diese beiden Argumente, die mE ganz entscheidend
dafür sprechen, dass § 871 ABGB auch bei unentgeltlichen Geschäften Platz greift.196 Unter
dieser Prämisse kann der Verweis in § 901 Satz 3 ABGB was seine irrtumsrechtliche
Bedeutung angeht nur so gelesen werden, dass bei unentgeltlichen Geschäften auch
Motivirrtümer beachtlich sind. Sie berechtigen (wie Erklärungs- und Geschäftsirrtümer)
jedoch nur dann zur Anfechtung, wenn das Vertrauen des Profiteurs auf das Geschäft wegen
Vorliegens einer der drei Alternativen von § 871 Abs 1 ABGB nicht schutzwürdig erscheint.
beim Testament nach altem und neuem Recht, in FS Eccher [2017] 517 [525 f]; s auch in , ABGB-
ON1.03 § 901 Rz 3; in Schwimann/Kodek, ABGB IV5 [2018] § 572 Rz 2 mwN; aA jedoch bspw , § 572
-Z 2017, 64 (64 f); in Klang³ §§ 570
572 ABGB Rz 36; , Das ErbRÄG 2015 und seine Auswirkungen auf die allgemeine Auslegungsregel und das
Irrtumsrecht, NZ 2018, 121 [125 f]; uva). Der OGH hält jedoch auch zur Rechtslage nach dem ErbRÄG an seiner bisherigen
Position fest: Da die Formulierung von § 572 ABGB inhaltlich unverändert geblieben ist, seien Motivirrtümer ohne Rücksicht
darauf beachtlich, ob das irrige Motiv in der Verfügung selbst angegeben ist oder nicht (OGH 2 Ob 41/19x EvBl 2020/53 [krit
] = EF-Z 2020/16 [zust ]; bestätigt durch 2 Ob 180/19p JEV 2020/17 [ ]; krit gegenüber der Rsp ,
Anfechtung einer letztwilligen Verfügung wegen Motivirrtums [§ 572 ABGB], JBl 2020, 473-477; der Jud zust
in , ABGB-ON1.04 [2020] § 572 Rz 2). Folgt man dieser Rechtsprechungslinie, deren Für und Wider im
Schrifttum bereits hinreichend erörtert worden sein dürfte, ändert sich der Verweis in § 901 Satz 3 ABGB nicht. Es bleibt
dabei, dass die Anfechtung von unentgeltlichen Rechtsgeschäften unter Lebenden wegen eines Motivirrtums nicht davon
abhängt, ob das Motiv bei Vertragsabschluss ausdrücklich als Beweggrund angegeben wurde oder nicht (s dazu nur
in KBB6 § 901 ABGB Rz 4).
191 Siehe va die Leitentscheidung OGH 1 Ob 551/94SZ 67/136 = JBl 1995, 48. Der Senat betont nach ausführlicher Analyse des
sprechenden
Argumente vermag sich auch der erkennende Senat dessen Schlußfol
Entscheidung ist entgegen in Klang3 § 901 ABGB Rz 21 nicht vereinzelt geblieben. Sie wird durch OGH 15.1.1998,
7 Ob 395/97g bestätigt. Im Schrifttum folgen bspw in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 901 Rz 3 u 5 und wohl
auch in Klang³ Zu §§ 570-572 ABGB Rz 3.
192 Die Historie von § 901 Satz 3 ABGB ist nebulös: Im Urentwurf (III § 30) fehlt der heutige Schlusssatz der Bestimmung. Er
wurde im Rahmen der ersten Lesung auf Antrag von
unentgeltlichen aber ist die im § 363 [entspricht der späteren Bestimmung des § 572 ABGB] gegebene Vorschrift
( , Protokolle II [1889] 18 f). Im ersten Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches (III § 33) findet man die
Verweisung plötzlich mit ihrer heutigen Diktion; weshalb lässt sich nicht mehr eruieren.
193 Irrtumsanfechtung 124 f.
194
195 Commentar
196 Diese beiden Aspekte konnte schon , Irrthumslehre 229 f nicht überzeugend widerlegen. Die Kritiker (Nachw oben
in FN 183) von Ansicht haben sich mit den beiden Argumenten soweit ersichtlich nicht mehr näher
auseinandergesetzt.
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Austrian Law Journal
Band 2/2021
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2021
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 48
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal