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Austrian Law Journal, Band 3/2017
Seite - 162 -
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ALJ 3/2017 Das bewegliche System 162 gehen.6 Deutsche Gerichte aber auch Wissenschaftler haben sich hilfesuchend § 826 BGB zuge- wandt, der die Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung vorsieht, und haben diese Bestimmung stark überdehnt; insb dadurch, dass im Ergebnis grobe Fahrlässigkeit dem Vorsatz gleichgehalten wird. Ferner ebnen deutsche Juristen den Weg für den Ersatz reiner Vermögensschäden, indem sie der vertraglichen Haftung, die im Gegensatz zur deliktischen Haftung auch solche Schäden erfasst, einen sehr weiten Anwendungsbereich zuerkennen. So werden die Haftungen für culpa in contra- hendo, wegen positiver Forderungsverletzung und auf Grundlage von Verträgen mit Schutzwir- kungen zugunsten Dritter der Vertragshaftung zugezählt. Es wurden ferner Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens erfunden, die noch dazu überwiegend als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs 2 BGB verstanden werden. Schließlich anerkennen deutsche Juristen über- wiegend ein eher rätselhaftes „Recht am Gewerbebetrieb“,7 das ebenfalls zum Schutz reiner Vermögensinteressen führt. Es scheint, dass deutsche Juristen sich an all dem nicht stoßen, da sie von ihrer „juristischen Kindheit“ an daran gewöhnt wurden. Im auswärtigen Beobachter wird allerdings der Eindruck erweckt, dass die deutschen Kollegen gerade wegen der starren Regeln des BGB sehr dazu nei- gen, die Bestimmungen möglichst zu umgehen und in die unbestimmten, unsystematische Billig- keitsentscheidungen fördernden Generalklauseln zu flüchten8 – die Kommentare zu § 242 und § 826 BGB sprechen Bände. Diese Gewöhnung führt bedauerlicherweise dazu, dass ganz allge- mein grundlegende Wertungen des Gesetzgebers missachtet werden. Die methodisch anfechtbare Vorgangsweise dürfte allgemein zu einem bedenklich lockeren Verhältnis deutscher Gerichte zu den gesetzlichen Bestimmungen und Wertungen geführt haben.9 Da überdies im Einzelfall kaum vorhersehbar ist, wann das Gericht unter Anwendung des einschlägigen starren Einzeltatbestan- des und wann es aufgrund der vagen Generalklausel nach Billigkeit entscheiden wird, erreicht der Gesetzgeber damit keineswegs die angestrebte Rechtssicherheit, sondern das Gegenteil. Daraus kann eine sehr wichtige rechtspolitische Lehre gezogen werden: Versucht der Gesetzge- ber durch detaillierte, starre Regeln allzu sehr, die Bewegungsfreiheit der Gerichte einzuschrän- ken, so erreicht er letztlich das Gegenteil.10 Das auf den ersten Blick wohl verblüffende Ergebnis, dass die stärkere Bindung des Richters durch detaillierte, feste Normen letztlich in Wahrheit zu einer größeren Rechtsunsicherheit führt, ist bei näherer Überlegung allerdings keineswegs über- raschend, sondern eben durchaus vorhersehbar. Es ist nämlich in vielen Bereichen schlechter- dings unmöglich, sämtliche durch die Vielfalt des Lebens gebotenen Problemfälle so in festen Normen zu erfassen, dass in allen Fallgruppen sachgerechte Entscheidungen getroffen werden können. Ferner: Ein Gesetzgeber, der meint, er könne für die Zukunft die Lösung aller auftreten- den Fragen im Detail regeln, überschätzt seine Fähigkeiten. Damit ist keineswegs ein Vorwurf subjektiver Unfähigkeit gemeint, sondern es soll damit nur die – wie auch die Erfahrung zeigt – 6 Zum Folgenden Koziol in FS 200 Jahre ABGB I 479 ff; Koziol, Glanz und Elend der deutschen Zivilrechtsdogmatik, AcP 212 (2012) 1 (48 f). 7 Kritisch zu diesem Canaris, Grundstrukturen des deutschen Deliktsrechts, VersR 2005, 582 f; Sack, Das Recht am Gewerbebetrieb (2007) 142 ff; Wagner in Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg, MünchKomm zum BGB V7 § 823 Rz 318 ff. 8 Vgl Canaris, Systemdenken 82. 9 Ausführlicher dazu Koziol, Rezeption der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Österreich, in Cana- ris/Heldrich/Hopt/Roxin/Schmidt/Widmaier (Hrsg), 50 Jahre Bundesgerichtshof, Festgabe aus der Wissenschaft II (2000) 943 (959 ff). 10 Siehe dazu F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff2 (1991) 533 f.
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Austrian Law Journal Band 3/2017
Titel
Austrian Law Journal
Band
3/2017
Autor
Karl-Franzens-Universität Graz
Herausgeber
Brigitta Lurger
Elisabeth Staudegger
Stefan Storr
Ort
Graz
Datum
2017
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
19.1 x 27.5 cm
Seiten
66
Schlagwörter
Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
Kategorien
Zeitschriften Austrian Law Journal
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