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ALJ 3/2017 Das bewegliche System 182
Gerechtfertigt wird die ausnahmsweise Reduzierung der Ersatzpflicht mit dem Gedanken des
verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes. Canaris73 betont, dass die Möglichkeit gegeben sein
müsse, unter bestimmten Voraussetzungen für den Schädiger ruinöse Ersatzpflichten zu mäßi-
gen. Er hebt hervor, dass durch exorbitante Ersatzpflichten nicht nur die Handlungsfreiheit des
Schädigers, sondern auch dessen verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht betrof-
fen werde. Die Grundrechte müssten in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Übermaß-
verbot auch im Schadenersatzrecht grundsätzlich Schutz vor unverhältnismäßigen Beeinträchti-
gungen des Schädigers gewährleisten. Wie Canaris74 zu Recht ausführt, ist die Geltendmachung
des Ersatzanspruches in voller Höhe dann gerechtfertigt, wenn der Geschädigte auf die Ersatz-
leistung angewiesen ist. Kann der Geschädigte hingegen auch ohne Ersatzleistung seine Bedürf-
nisse befriedigen, so ist sein Ersatzanspruch dann zu mäßigen, wenn dessen Erfüllung den Schä-
diger bis an das Lebensende in den Ruin treiben würde.
F. Bydlinski75 weist überdies darauf hin, dass die das Selbstverantwortungsprinzip im Schadener-
satzrecht konkretisierenden Haftungsgründe mehr oder weniger stark auftreten können, was bei
der Ausmessung der Haftung aus Gründen der Gerechtigkeit Beachtung verdient. Er macht auch
darauf aufmerksam, dass die wirtschaftliche Existenz eines Menschen nicht nur durch einen
erlittenen Schaden, sondern auch durch eine umfangreiche Ersatzverpflichtung ruiniert werden
könne, und zwar weithin zufällig. Denn ob und welche Schäden aus einem haftungsbegründen-
den Vorgang tatsächlich entstehen, sei weithin eine Frage der zufälligen Nebenumstände. All
diese Maximen seien mit den für eine umfassende Haftung sprechenden Gründen abzuwägen;
sie wirkten sich umso stärker aus, je schwächer im Einzelfall die Haftungsgründe ausgeprägt
seien.
Es ist aber abschließend nochmals zu betonen,76 dass entsprechend dem Ausgleichs- und dem
Präventionsprinzip bei Vorliegen ausreichender Zurechnungsmomente regelmäßig voller Ersatz
zu leisten ist und eine Reduktion nur mit großer Zurückhaltung in krassen Ausnahmefällen zulässig
ist.
73 Canaris, JZ 1987, 995, 1001 f; Canaris, Die Verfassungswidrigkeit von § 828 II BGB als Ausschnitt aus einem größe-
ren Problemkreis, JZ 1990, 679. Kritisch Medicus, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Privatrecht, AcP 192
(1992) 35 (53 ff).
74 Canaris, JZ 1987, 1002.
75 F. Bydlinski, System 226 ff.
76 So auch F. Bydlinski, System 228.
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Austrian Law Journal
Band 3/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 3/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 66
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal