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ALJ 3/2017 Waldemar Hummer 184
der Kleinen an die Große Kammer eliminiert. Auch wird in der Präambel nunmehr auf das Prinzip
der Subsidiarität und die „margin of appreciation“-Doktrin hingewiesen, wodurch das Prinzip, das
den Vertragsstaaten bei der Auslegung der EMRK einen gewissen Spielraum zugesteht, nunmehr
explizit verankert wird. Die in Art 35 Abs 3 lit b EMRK vorgesehene Klausel, dass der EGMR eine
Beschwerde als unzulässig erklären kann, wenn er der Ansicht ist, dass dem Beschwerdeführer
kein erheblicher Nachteil entstanden ist, wird selbst nicht gestrichen, sondern nur die derzeit
dazu bestehende Einschränkung.2 Zuletzt wird auch in Art 21 EMRK ein neuer Absatz eingefügt,
der bestimmt, dass die Richter und Richterinnen am EGMR bei ihrer Wahl nicht älter als 65 Jahre
sein dürfen. Parallel dazu wurde auch die Altersbeschränkung von 70 Jahren im jetzigen Art 23
Abs 2 EMRK eliminiert.
Das Protokoll Nr 15 hat gesetzesändernden und gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher
der Genehmigung des Nationalrates gem Art 50 Abs 1 Z 1 B-VG. Seit der B-VG-Novelle 20083 ist
die Änderung von Verfassungsrecht durch einen Staatsvertrag nicht mehr möglich. Daher muss
die Änderung der in Verfassungsrang stehenden EMRK durch das Protokoll Nr 15 mit einer bundes-
verfassungsgesetzlichen Bestimmung in Verfassungsrang gehoben werden. Dementsprechend
genehmigte der Nationalrat am 20. 9. 2017 den Abschluss des Protokolls Nr 15 zur EMRK mit der
erforderlichen Zweidrittelmehrheit,4 wobei dieses in der amtlicher Parlamentskorrespondenz5
mehrfach als Zusatzprotokoll bezeichnet wurde. Es ist mehr als verblĂĽffend, dass weder dem
Rechtsdienst des Nationalrates noch den juristisch ausgebildeten Abgeordneten in diesem Zusam-
menhang aufgefallen ist, dass es sich dabei um die Änderung einer Reihe von Verfahrensbe-
stimmungen der EMRK handelt, die gerade nicht durch ein (bloĂźes) Zusatzprotokoll, sondern nur
durch ein novellierendes Änderungsprotokoll saniert werden können, sodass Art 7 des Protokolls
auch konsequenter Weise bestimmt, dass es zu seinem Inkrafttreten der Ratifikation durch alle
47 Vertragsparteien der EMRK bedarf.
Wenngleich das Änderungsprotokoll Nr 15 zur EMRK im Zuge seiner Veröffentlichung im Bundes-
gesetzblatt6 nur mehr als „Protokoll Nr. 15“ zur EMRK bezeichnet wurde, erfolgte dessen parla-
mentarische Genehmigung durch die Abgeordneten des Nationalrates doch auf Basis der Materia-
lien, die in ihm eben ein „Zusatzprotokoll“, nicht aber ein „Änderungsprotokoll“ zur EMRK gese-
hen haben.
III. GrĂĽnde fĂĽr die Verwechslung beider Protokoll-Typen
Dass selbst in „halbamtlichen“ Verlautbarungen7 dieser semantischen „Konfusion“ Vorschub
geleistet und mit mehr als verwirrenden Formulierungen gearbeitet wird, belegt zB die Passage
2 Diese Einschränkung besagt, dass eine Beschwerde trotz Unerheblichkeit des Schadens vom EGMR nicht zurück-
gewiesen werden darf, wenn der Beschwerdeführer bisher nicht die Möglichkeit hatte, seine Beschwerde inner-
staatlich einem unabhängigen Richter vorzulegen. Diese Regelung war den Problemen anlässlich des Übergangs
vom Kommunismus zum Modell westlicher Demokratien in den MOEL geschuldet.
3 BGBl I 2008/2.
4 BGBl I 2017/112.
5 PK 2017/0976; siehe auch ErläutRV 1673 BlgNR 25. GP – Staatsvertrag – Erläuterungen, 1; in den Materialien des
deutschen Bundesrates wird das Protokoll Nr 15 zur EMRK korrekterweise als Änderungsprotokoll bezeichnet;
Bundesrat Drucksache 399/14 vom 29. 8. 2014.
6 BGBl I 112/2017.
7 Vgl zB „Die EMRK wird durch sechzehn Zusatzprotokolle (ZP) ergänzt“, Zusatzprotokolle zur EMRK, Update vom 12. 5.
2014, Informationsplattform humanrights.ch, https://www.humanrights.ch/de/internationale-menschenrechte/
europarat-abkommen/zusatzprotokolle/zp15/ (abgerufen am 9. 10. 2017).
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Austrian Law Journal
Band 3/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 3/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 66
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal