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ALJ 3/2017 Waldemar Hummer 186
Konvention für einverstanden, soll zumindest einem Teil von ihnen die Möglichkeit gegeben wer-
den, sich untereinander in der Form eines „Zusatzprotokolls“ intensiver und umfassender zu
verpflichten.
Ein weiteres Argument für den Einsatz eines „Zusatzprotokolls“ anstelle eines „Änderungspro-
tokolls“ – obwohl für letzteres durchaus die Zustimmung aller Mitgliedstaaten faktisch gegeben
wäre – ist der Zeitfaktor. Die Ratifikation der bisherigen acht „Änderungsprotokolle“ durch jeweils
alle Mitgliedstaaten nahm jedes Mal eine Reihe von Jahren in Anspruch und dauerte zB im Fall
des 2. Änderungsprotokolls mehr als sieben Jahre.13 Im Schnitt sind es etwa fünf Jahre. Daneben
müssen den säumigen Konventionsstaaten uU auch noch gewisse Zugeständnisse gemacht wer-
den, damit sie letztendlich doch ratifizieren.14
Ein anschauliches Beispiel fĂĽr die Relevanz des Zeitfaktors liefert das Protokoll Nr 16, das von den
Vertragsstaaten am 10. 7. 2013 angenommen und am 2. 10. 2013 zur Unterzeichnung aufgelegt
wurde. Darin sollte ein „judicial dialogue“ zwischen den nationalen Höchstgerichten der Mitglied-
staaten und dem EGMR in dem Sinn verankert werden, dass ersteren die Möglichkeit eingeräumt
wird, vom EGMR Rechtsgutachten ĂĽber die Auslegung und Anwendung einzelner interpretations-
offener Bestimmungen der EMRK zu erbitten, um so deren Auslegung von einer bisher intertem-
poral „ex post“ stattfindenden Klärung zu einer „ex ante“ Klarstellung vorzuverlagern.15 Eine solche
Gutachtenskompetenz des EGMR würde – langfristig – die Zahl der Beschwerden vermindern und
die dadurch ermöglichte raschere Lösung ähnlicher Fälle auf nationaler Ebene auch den Grund-
satz der Subsidiarität stärken. In seiner vorbereitenden Stellungnahme für die Konferenz in
Brighton vom 20. 2. 2012, auf der Reformen zur Steigerung der Effizienz des EGMR diskutiert
werden sollten, wies der EGMR selbst16 auf die Vorteile eines solchen „judicial dialogue“ hin,17
einer Ăśberlegung, der sich in der Folge auch alle Mitgliedstaaten der EMRK anschlossen. In sei-
nem Reflexionspapier vom März 201218 führte der EGMR dazu aber ausdrücklich aus, dass das in
Aussicht genommene Protokoll Nr 16 als ein bloßes „Zusatz“- und nicht als ein „Änderungsproto-
koll“ ausgestaltet werden sollte – so wie es die bisherigen (Änderungs-)Protokolle, die verfah-
rensmäßige Neuerungen in die EMRK einführten, aber stets waren.19 Durch das geringere Ratifi-
kationserfordernis sollte ein frĂĽheres Inkrafttreten des Zusatzprotokolls fĂĽr diejenigen Mitglied-
staaten ermöglicht werden, die sich ihm so rasch wie möglich unterwerfen wollen und dement-
sprechend auch auf eine speditive Ratifikation desselben Wert legen. Folglich sollte es bereits
13 Vom Mai 1963 bis zum September 1970.
14 So wie dies zB im Falle Russlands der Fall war, das das am 13. 5. 2004 zur Ratifikation aufgelegte 14. (Änderungs-)
Protokoll zur EMRK erst im März 2010 ratifizierte, nachdem ihm zwei wichtige Zugeständnisse gemacht wurden:
Zum einen wurde Russland in Beschwerdeverfahren ein eigener „judex ad hoc“ zugesagt, und zum anderen wird
auch ein Russe in der Gruppe mitarbeiten, die die Umsetzung der Urteile des EGMR begutachtet. Siehe dazu
Hummer, Russland ratifiziert das 14. Protokoll zur EMRK, in Hummer (Hrsg) Die Europäische Union – das unbe-
kannte Wesen (2010) 524 f. Durch das damit ermöglichte Inkrafttreten des 14. (Änderungs-)Protokolls zur EMRK
am 1. 6. 2010 war es der EU möglich, ab diesem Zeitpunkt der EMRK beizutreten, was aber bis heute – aufgrund
des negativen Gutachtens 2/2013 des EuGH vom 18. 12. 2014 (ECLI:EU:C:2014:2454) – noch nicht geschehen ist.
15 Vgl dazu Hummer in FS Dauses 167 ff.
16 Unter Zitation seines Urteils EGMR 15. 12. 2011, 26766/05, 22228/6, Al-Khawaja and Tahery v. the United Kingdom.
17 ECHR, Preliminary Opinion of the Court in preparation for the Brighton Conference adopted by the Plenary Court,
Ref. No. 3841140 (2012) 6 Rz 27 f.
18 ECHR, Reflection Paper on the proposal to extend the Court’s advisory jurisdiction, Ref. No. 3853038 (2013) 11
Rz 47.
19 Vgl dazu ECHR, Reflection Paper 2.
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Austrian Law Journal
Band 3/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 3/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 66
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal