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ALJ 3/2017 Ehrke-Rabel/Eisenberger/Hödl/Zechner 223
Rechtsordnungen knüpfen bekanntlich an natürliche oder juristische Personen an. Erst die Fiktion
der Person ermöglicht es, Rechte und Pflichten zu verteilen, Verantwortung zuzuweisen bzw
zuzuordnen und Handlungen zu kontrollieren. Im Bitcoin-Netzwerk agieren Personen, allerdings
pseudonymisiert und idR auch grenzüberschreitend und das erschwert den rechtlichen Zugriff;
und selbst wenn man ihrer habhaft würde (beispielsweise an den Schnittstellen, an denen sich
virtuelle und reale Welt treffen), ist eine kollektive Zuweisung der Verantwortung an einzelne
Personen sachlich nicht gerechtfertigt.
Das zeigt, dass Blockchain-basierte Netzwerke, wie Bitcoin, keine Verantwortungsträger im bisher
geläufigen Sinn haben. Das liegt an der Distribuiertheit des Netzwerks, an der fehlenden territo-
rialen Anbindung sowie an der Verschlüsselung, die es sehr schwierig macht, die Transakteure zu
identifizieren. Dadurch fehlt eine zentrale Stelle, die zur Verantwortung gezogen werden könnte.
Die einzelnen Transakteure können – wenn überhaupt – nur mit übermäßigem Aufwand identifi-
ziert werden und Staaten können ob der territorialen Beschränkung ihrer Hoheitsbefugnisse
überhaupt nur eingeschränkt tätig werden.
Was aber folgt daraus? Was wären denkbare Lösungsansätze? Regulatorisch anknüpfen, ließe
sich am Programmcode selbst, wie dies die Debatte für Verantwortlichkeiten und Haftungsfragen
bei Software-Agenten zeigt.252 Denkbar wären neue (noch zu entwickelnde und zu definierende)
Gesellschaftsformen oder die Anknüpfung an kollektive oder sonstige neu zu schaffende Perso-
nen. Ansätze dazu finden sich im Bereich der Sammelklagen, des Minderheitenschutzes253 oder
der Verleihung von Rechtspersönlichkeit für Flüsse, Seen oder die Natur.254
Die eigentliche Herausforderung, vor die uns globale distribuierte Peer-to-Peer-Strukturen – wie
das hier dargestellte Bitcoin-Netzwerk – stellen, ist die grundlegende Neuordnung und Definition
von Begrifflichkeiten. Um neue Macht-Strukturen und Kategorien einschätzen zu können, müs-
sen diese sichtbar gemacht und nötigenfalls neu definiert werden.255 So wird erkennbar, ob und
wie regulatorische Maßnahmen, wie das Ordnungsrecht, das Abgabenrecht oder das Strafrecht
greifen und ob die Regulierung solcher Systeme neu gedacht werden muss. Nur so kann Macht-
missbrauch und der Verlust rechtlicher Steuerungsfunktion durch sich (ver)ändernde, verlagern-
de oder sich auflösende Hierarchien verhindert werden.256
252 Siehe Teubner, Elektronische Agenten und große Menschenaffen: Zur Ausweitung des Akteurstatus in Recht und
Politik, in Becchi/Graber (Hrsg), Interdisziplinäre Wege in der juristischen Grundlagenforschung (2007) 1–29;
Spiecker gen. Döhmann, Zur Zukunft systemischer Digitalisierung – Erste Gedanken zur Haftungs- und Verantwor-
tungszuschreibung bei informationstechnischen Systemen, CR 2016, 696.
253 Siehe Kirste, Die beiden Seiten der Maske – Rechtstheorie und Rechtsethik der Rechtsperson, in Gröschner/Kirste/
Lembcke (Hrsg), Person und Rechtsperson (2015) 345 (375).
254 So erklärte Ecuador 2008 weltweit zum ersten Mal die Natur zum Rechtsobjekt; gleiches tat Pittsburgh als erste
US-amerikanische Stadt im Jahre 2010; der Whanganui River in Neuseeland ist der erste Fluss mit Rechtspersön-
lichkeit und auch in Indien wurden dem Ganges Menschenrechte zuerkannt; siehe dazu The Economist, New Ze-
aland declares a river a person v 25. 3. 2017 https://www.economist.com/news/asia/21719409-odd-legal-status-
intended-help-prevent-pollution-and-other-abuses-new-zealand-declares (abgefragt am 1. 2. 2018) und Safi,
Ganges and Yamuna rivers granted same legal rights as human beings v 21. 3. 2017, The Guardian https://
www.theguardian.com/world/2017/mar/21/ganges-and-yamuna-rivers-granted-same-legal-rights-as-human-beings
(abgefragt am 18. 7. 2017) sowie ausführlich Shelton, Nature as a legal person, VertigO – la revue électronique en
sciences de l'environnement, Hors-série 22 v 10. 9. 2015 http://vertigo.revues.org/16188 (abgefragt am 1. 2.
2018).
255 Zu verschleierter und verdeckter Machtausübung bei der staatlichen Steuerung neuer Technologien siehe Eisen-
berger, Innovation im Recht.
256 Zum Verlust staatlicher Steuerungskraft siehe schon Ehrke-Rabel/I. Eisenberger/Hödl/Pachinger/Schneider, jusIT
2017, 87 sowie jusIT 2017, 129.
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Austrian Law Journal
Band 3/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 3/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 66
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal