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erhalten zu haben. Nun kam aber die Mutter auf ihrem Gang zu einem kleinen
Ziegelhaufen, vor dem das Geländer und wahrscheinlich auch der Weg
aufhörte, aber sie hielt sich nicht daran, ging auf den Ziegelhaufen los, ihre
Geschicklichkeit schien sie verlassen zu haben, sie stieß den Ziegelhaufen um
und fiel über ihn hinweg in die Tiefe. Viele Ziegel rollten ihr nach und
schließlich, eine ganze Weile später, löste sich irgendwo ein schweres Brett
los und krachte auf sie nieder. Die letzte Erinnerung Thereses an ihre Mutter
war, wie sie mit auseinandergestreckten Beinen dalag in dem karierten Rock,
der noch aus Pommern stammte, wie jenes auf ihr liegende rohe Brett sie fast
bedeckte, wie nun die Leute von allen Seiten zusammenliefen und wie oben
vom Bau irgendein Mann zornig etwas hinunterrief.
Es war spät geworden, als Therese ihre Erzählung beendet hatte. Sie hatte
ausführlich erzählt, wie es sonst nicht ihre Gewohnheit war, und gerade bei
gleichgültigen Stellen, wie bei der Beschreibung der Gerüststangen, die jede
für sich allein in den Himmel ragten, hatte sie mit Tränen in den Augen
innehalten müssen. Sie wußte jede Kleinigkeit, die damals vorgefallen war,
jetzt, nach zehn Jahren, ganz genau, und weil der Anblick ihrer Mutter oben
im halbfertigen Erdgeschoß das letzte Andenken an das Leben der Mutter war
und sie es ihrem Freunde gar nicht deutlich genug überantworten konnte,
wollte sie nach dem Schlusse ihrer Erzählung noch einmal darauf
zurückkommen, stockte aber, legte das Gesicht in die Hände und sagte kein
Wort mehr.
Es gab aber auch lustigere Zeiten in Theresens Zimmer. Gleich bei seinem
ersten Besuch hatte Karl dort ein Lehrbuch der kaufmännischen
Korrespondenz liegen gesehen und auf seine Bitten geborgt erhalten. Es
wurde gleichzeitig besprochen, daß Karl die im Buch enthaltenen Aufgaben
machen und Therese, die das Buch, soweit es für ihre kleinen Arbeiten nötig
war, schon durchstudiert hatte, zur Durchsicht vorlegen solle. Nun lag Karl
ganze Nächte lang, Watte in den Ohren, unten auf seinem Bett im Schlafsaal,
der Abwechslung halber in allen möglichen Lagen, las im Buch und kritzelte
die Aufgaben in ein Heftchen, mit einer Füllfeder, die ihm die Oberköchin zur
Belohnung dafür geschenkt hatte, daß er für sie ein großes
Inventarverzeichnis sehr praktisch angelegt und rein ausgeführt hatte. Es
gelang ihm, die meisten Störungen der anderen Jungen dadurch zum Guten zu
wenden, daß er sich von ihnen immer kleine Ratschläge in der englischen
Sprache geben ließ, bis sie dessen müde wurden und ihn in Ruhe ließen. Oft
staunte er, wie die anderen mit ihrer gegenwärtigen Lage ganz ausgesöhnt
waren, ihren provisorischen Charakter – ältere als zwanzigjährige Liftjungen
wurden nicht geduldet – gar nicht fühlten, die Notwendigkeit einer
Entscheidung über ihren künftigen Beruf nicht einsahen und trotz Karls
Beispiel nichts anderes lasen als höchstens Detektivgeschichten, die in
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik