Seite - 103 - in Amerika
Bild der Seite - 103 -
Text der Seite - 103 -
nur, wenn Renell Dienst hatte. Es konnte Zufall sein, aber niemand glaubte
daran, und wenn der Lift mit den beiden abfuhr, gab es in der ganzen Reihe
der Liftjungen eine mühsam unterdrückte Unruhe, die sogar schon zum
Einschreiten eines Oberkellners geführt hatte. Sei es nun, daß die Dame, sei
es, daß das Gerücht die Ursache war, jedenfalls hatte sich Renell verändert,
war noch bei weitem selbstbewußter geworden, überließ das Putzen gänzlich
Karl, der schon auf die nächste Gelegenheit einer gründlichen Aussprache
hierüber wartete, und war im Schlafsaal gar nicht mehr zu sehen. Kein
anderer war so vollständig aus der Gemeinschaft der Liftjungen ausgetreten,
denn im allgemeinen hielten alle, zumindest in Dienstfragen, streng
zusammen und hatten eine Organisation, die von der Hoteldirektion anerkannt
war.
Alles dieses ließ sich Karl durch den Kopf gehen, dachte auch an
Delamarche, und verrichtete im übrigen seinen Dienst wie immer. Gegen
Mitternacht hatte er eine kleine Abwechslung, denn Therese, die ihn öfters
mit kleinen Geschenken überraschte, brachte ihm einen großen Apfel und
eine Tafel Schokolade. Sie unterhielten sich ein wenig, durch die
Unterbrechungen, welche die Fahrten mit dem Aufzug brachten, kaum
gestört. Das Gespräch kam auch auf Delamarche, und Karl merkte, daß er
sich eigentlich durch Therese hatte beeinflussen lassen, wenn er ihn seit
einiger Zeit für einen gefährlichen Menschen hielt, denn so erschien er
allerdings Therese nach Karls Erzählungen. Karl jedoch hielt ihn im Grunde
nur für einen Lumpen, der durch das Unglück sich hatte verderben lassen und
mit dem man schon auskommen konnte. Therese widersprach dem aber sehr
lebhaft und forderte Karl in langen Reden das Versprechen ab, kein Wort mit
Delamarche mehr zu reden. Statt dieses Versprechen zu geben, drängte sie
Karl wiederholt, schlafen zu gehen, da Mitternacht schon längst vorüber war,
und als sie sich weigerte, drohte er, seinen Posten zu verlassen und sie in ihr
Zimmer zu führen. Als sie endlich bereit war wegzugehen, sagte er: »Warum
machst du dir so unnötige Sorgen, Therese? Für den Fall, daß du dadurch
besser schlafen solltest, verspreche ich dir gerne, daß ich mit Delamarche nur
reden werde, wenn es sich nicht vermeiden läßt.« Dann kamen viele Fahrten,
denn der Junge am Nebenlift wurde zu irgendeiner anderen Hilfeleistung
verwendet, und Karl mußte beide Lifts besorgen. Es gab Gäste, die von
Unordnung sprachen, und ein Herr, der eine Dame begleitete, berührte Karl
sogar mit dem Spazierstock, um ihn zur Eile anzutreiben, eine Ermahnung,
die recht unnötig war. Wenn doch wenigstens die Gäste, da sie sahen, daß bei
dem einen Lift kein Junge stand, gleich zu Karls Lift getreten wären, aber das
taten sie nicht, sondern gingen zu dem Nebenlift und blieben dort, die Hand
an der Klinke, stehen oder traten gar selbst in den Aufzug ein, was nach dem
strengsten Paragraphen der Dienstordnung die Liftjungen um jeden Preis
103
zurück zum
Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik