Seite - 114 - in Amerika
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besser zu beruhigen: »Ich kenne den Paragraphen, ich habe ja die
Dienstordnung auch bekommen und genau gelesen. Aber gerade eine solche
Bestimmung, die man niemals braucht, vergißt man. Ich diene schon zwei
Monate und habe niemals meinen Posten verlassen.«
»Dafür wirst du ihn jetzt verlassen«, sagte der Oberkellner, ging zum Tisch
hin, nahm das Verzeichnis wieder zur Hand, als wolle er darin weiterlesen,
schlug damit aber auf den Tisch, als sei es ein nutzloser Fetzen, und ging,
starke Röte auf Stirn und Wangen, kreuz und quer im Zimmer herum. »Wegen
eines solchen Bengels hat man das nötig! Solche Aufregungen beim
Nachtdienst!« stieß er einigemal hervor. »Wissen Sie, wer gerade
hinauffahren wollte, als dieser Kerl hier vom Lift weggelaufen war?« wandte
er sich zum Portier. Und er nannte einen Namen, bei dem es dem Portier, der
gewiß alle Gäste kannte und bewerten konnte, so schauderte, daß er schnell
auf Karl hinsah, als sei nur dessen Existenz eine Bestätigung dessen, daß der
Träger jenes Namens eine Zeitlang bei einem Lift, dessen Junge weggelaufen
war, nutzlos hatte warten müssen.
»Das ist schrecklich!« sagte der Portier und schüttelte langsam in
grenzenloser Beunruhigung den Kopf gegen Karl hin, welcher ihn traurig
ansah und dachte, daß er nun auch für die Begriffsstutzigkeit dieses Mannes
werde büßen müssen.
»Ich kenne dich übrigens auch schon«, sagte der Portier und streckte seinen
dicken, großen, steifgespannten Zeigefinger aus. »Du bist der einzige Junge,
welcher mich grundsätzlich nicht grüßt. Was bildest du dir eigentlich ein!
Jeder, der an der Portierloge vorübergeht, muß mich grüßen. Mit den übrigen
Portiers kannst du es halten, wie du willst, ich aber verlange gegrüßt zu
werden. Ich tue zwar manchmal so, als ob ich nicht aufpaßte, aber du kannst
ganz ruhig sein, ich weiß sehr genau, wer mich grüßt oder nicht, du
Lümmel!« Und er wandte sich von Karl ab und schritt hochaufgerichtet auf
den Oberkellner zu, der aber, statt sich zu des Portiers Sache zu äußern, sein
Frühstück beendete und eine Morgenzeitung überflog, die ein Diener eben ins
Zimmer hereingebracht hatte.
»Herr Oberportier«, sagte Karl, der während der Unachtsamkeit des
Oberkellners wenigstens die Sache mit dem Portier ins reine bringen wollte,
denn er begriff, daß ihm vielleicht der Vorwurf des Portiers nicht schaden
konnte, wohl aber dessen Feindschaft, »ich grüße Sie ganz gewiß. Ich bin
doch noch nicht lange in Amerika und stamme aus Europa, wo man
bekanntlich viel mehr grüßt, als nötig ist. Das habe ich mir natürlich noch
nicht ganz abgewöhnen können, und noch vor zwei Monaten hat man mir in
New York, wo ich zufällig in höheren Kreisen verkehrte, bei jeder
Gelegenheit zugeredet, mit meiner übertriebenen Höflichkeit aufzuhören. Und
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik