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oder diese Handbewegung um ihrer selbst willen machte. »Aber vielleicht
erinnere ich dich an irgendwelche Verpflichtungen. Der Mann unten hat
nämlich weiterhin gesagt, daß ihr beide nach deiner Rückkunft irgendeiner
Sängerin einen Nachtbesuch machen werdet, deren Namen allerdings
niemand verstanden hat, da ihn der Mann immer nur unter Gesang
aussprechen konnte.«
Hier unterbrach sich der Oberkellner, denn die sichtlich bleich gewordene
Oberköchin erhob sich vom Sessel, den sie ein wenig zurückstieß.
»Ich verschone Sie mit dem Weiteren«, sagte der Oberkellner.
»Nein, bitte, nein«, sagte die Oberköchin und ergriff seine Hand, »erzählen
Sie nur weiter, ich will alles hören, darum bin ich ja hier.«
Der Oberportier, der vortrat und sich zum Zeichen dessen, daß er von
Anfang an alles durchschaut hatte, laut auf die Brust schlug, wurde vom
Oberkellner mit den Worten: »Ja, Sie hatten ganz recht, Feodor!« gleichzeitig
beruhigt und zurückgewiesen.
»Es ist nicht mehr viel zu erzählen«, sagte der Oberkellner. »Wie die
Jungen eben schon sind, haben sie den Mann zuerst ausgelacht, haben dann
mit ihm Streit bekommen, und er ist, da dort immer gute Boxer zur Verfügung
stehen, einfach niedergeboxt worden; und ich habe gar nicht zu fragen
gewagt, an welchen und an wie vielen Stellen er blutet, denn diese Jungen
sind fürchterliche Boxer, und ein Betrunkener macht es ihnen natürlich
leicht!«
»So«, sagte die Oberköchin, hielt den Sessel an der Lehne und sah auf den
Platz, den sie eben verlassen hatte. »Also sprich doch, bitte, ein Wort,
Roßmann!« sagte sie dann. Therese war von ihrem bisherigen Platz zur
Oberköchin hinübergelaufen und hatte sich, was sie Karl sonst niemals hatte
tun sehen, in die Oberköchin eingehängt. Der Oberkellner stand knapp hinter
der Oberköchin und glättete langsam einen kleinen, bescheidenen
Spitzenkragen der Oberköchin, der sich ein wenig umgeschlungen hatte. Der
Oberportier neben Karl sagte: »Also wird’s?«, wollte damit aber nur einen
Stoß markieren, den er unterdessen Karl in den Rücken gab.
»Es ist wahr«, sagte Karl, infolge des Stoßes unsicherer, als er wollte, »daß
ich den Mann in den Schlafsaal gebracht habe.«
»Mehr wollen wir nicht wissen«, sagte der Portier im Namen aller. Die
Oberköchin wandte sich stumm zum Oberkellner und dann zu Therese.
»Ich konnte mir nicht anders helfen«, sagte Karl weiter. »Der Mann ist
mein Kamerad von früher her, er kam, nachdem wir uns zwei Monate lang
nicht gesehen hatten, hierher, um mir einen Besuch zu machen, war aber so
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik