Seite - 133 - in Amerika
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nun einmal hier bist, will ich dich genießen. Im übrigen habe ich nicht daran
gezweifelt, daß du das Rendezvous, das wir uns beim Haupttor gegeben
hatten, auch einhalten wirst, denn das ist eine Regel, daß der Freche und der
Unfolgsame gerade dort und dann mit seinen Lastern aufhört, wo es ihm
schadet. Du wirst das an dir selbst gewiß noch oft beobachten können.«
»Glauben Sie nicht«, sagte Karl und atmete den eigentümlich dumpfen
Geruch ein, der vom Oberportier ausging, und den er erst hier, wo er so lange
in seiner nächsten Nähe stand, bemerkte, »glauben Sie nicht«, sagte er, »daß
ich vollständig in Ihrer Gewalt bin, ich kann ja schreien.«
»Und ich kann dir den Mund stopfen«, sagte der Oberportier ebenso ruhig
und schnell, wie er es wohl nötigenfalls auszuführen gedachte. »Und meinst
du denn wirklich, wenn man deinetwegen hereinkommen sollte, es würde sich
jemand finden, der dir recht geben würde, mir, dem Oberportier, gegenüber?
Du siehst also wohl den Unsinn deiner Hoffnungen ein. Weißt du, wie du
noch in der Uniform warst, da hast du tatsächlich noch ein wenig
beachtenswert ausgesehen, aber in diesem Anzug, der tatsächlich nur in
Europa möglich ist! –« Und er zerrte an den verschiedensten Stellen des
Anzuges, der jetzt allerdings, obwohl er vor fünf Monaten noch fast neu
gewesen war, abgenutzt, faltig, vor allem aber fleckig war, was hauptsächlich
auf die Rücksichtslosigkeit der Liftjungen zurückzuführen war, die jeden Tag,
um den Saalboden dem allgemeinen Befehl gemäß glatt und staubfrei zu
erhalten, aus Faulheit keine eigentliche Reinigung vornahmen, sondern mit
irgendeinem Öl den Boden besprengten und damit gleichzeitig alle Kleider
auf den Kleiderständern schändlich bespritzten. Nun konnte man seine
Kleider aufheben, wo man wollte, immer fand sich einer, der gerade seine
Kleider nicht bei der Hand hatte, dagegen die versteckten fremden Kleider
mit Leichtigkeit fand und sich ausborgte. Und womöglich war dieser eine
gerade derjenige, der an diesem Tage die Saalreinigung vorzunehmen hatte
und der dann die Kleider nicht nur mit dem Öl bespritzte, sondern vollständig
von oben bis unten begoß. Nur Renell hatte seine kostbaren Kleider an
irgendeinem geheimen Orte versteckt, von wo sie kaum jemals einer
hervorgezogen hatte, zumal sich ja auch niemand vielleicht aus Bosheit oder
Geiz fremde Kleider ausborgte, sondern aus bloßer Eile und Nachlässigkeit
dort nahm, wo er sie fand. Aber selbst auf Renells Kleid war mitten auf dem
Rücken ein kreisrunder, rötlicher Ölfleck, und in der Stadt hätte ein Kenner an
diesem Fleck selbst in diesem eleganten jungen Mann den Liftjungen
feststellen können.
Und Karl sagte sich bei diesen Erinnerungen, daß er auch als Liftjunge
genug gelitten hatte und daß doch alles vergebens gewesen war, denn nun war
dieser Liftjungendienst nicht, wie er gehofft hatte, eine Vorstufe zu besserer
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik