Seite - 134 - in Amerika
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Anstellung gewesen, vielmehr war er jetzt noch tiefer hinabgedrückt worden
und sogar sehr nahe an das Gefängnis geraten. Überdies wurde er jetzt noch
vom Oberportier festgehalten, der wohl darüber nachdachte, wie er Karl noch
weiter beschämen könne. Und völlig vergessend, daß der Oberportier
durchaus nicht der Mann war, der sich vielleicht überzeugen ließ, rief Karl,
während er sich mit der gerade freien Hand mehrmals gegen die Stirn schlug:
»Und wenn ich Sie wirklich nicht gegrüßt haben sollte, wie kann denn ein
erwachsener Mensch wegen eines unterlassenen Grußes so rachsüchtig
werden!«
»Ich bin nicht rachsüchtig«, sagte der Oberportier, »Ich will nur deine
Taschen durchsuchen. Ich bin zwar überzeugt, daß ich nichts finden werde,
denn du wirst wohl vorsichtig gewesen sein und hast wohl deinen Freund
allmählich alles, jeden Tag etwas, wegschleppen lassen. Aber durchsucht
worden mußt du sein.« Und schon griff er in die eine von Karls Rocktaschen
mit solcher Gewalt, daß die seitlichen Nähte platzten. »Da ist also schon
nichts«, sagte er und überklaubte in seiner Hand den Inhalt dieser Tasche,
einen Reklamekalender des Hotels, ein Blatt mit einer Aufgabe aus
kaufmännischer Korrespondenz, einige Rock- und Hosenknöpfe, die
Visitenkarte der Oberköchin, einen Polierstift für die Nägel, den ihm einmal
ein Gast beim Kofferpacken zugeworfen hatte, einen alten Taschenspiegel,
den ihm Renell einmal zum Dank für vielleicht zehn Vertretungen im Dienste
geschenkt hatte, und noch ein paar Kleinigkeiten. »Da ist also nichts«,
wiederholte der Oberportier und warf alles unter die Bank, als sei es
selbstverständlich, daß das Eigentum Karls, soweit es nicht gestohlen war,
unter die Bank gehöre.
›Jetzt ist’s aber genug‹, sagte sich Karl – sein Gesicht mußte glühend rot
sein –, und als der Oberportier, durch die Gier unvorsichtig gemacht, in Karls
zweiter Tasche herumgrub, fuhr Karl mit einem Ruck aus den Ärmeln heraus,
stieß im ersten, noch unbeherrschten Sprung einen Unterportier ziemlich stark
gegen seinen Apparat, lief durch die schwüle Luft, eigentlich langsamer, als
er beabsichtigt hatte, zur Tür, war aber glücklich draußen, ehe der Oberportier
in seinem schweren Mantel sich auch nur hatte erheben können. Die
Organisation des Wachdienstes mußte doch nicht so mustergültig sein, es
läutete zwar von einigen Seiten, aber Gott weiß zu welchen Zwecken!
Hotelangestellte gingen zwar im Torgang in solcher Anzahl kreuz und quer,
daß man fast daran denken konnte, sie wollten in unauffälliger Weise den
Ausgang unmöglich machen, denn viel sonstigen Sinn konnte man in diesem
Hin- und Hergehen nicht erkennen; jedenfalls kam Karl bald ins Freie, mußte
aber noch das Hoteltrottoir entlanggehen, denn zur Straße konnte man nicht
gelangen, da eine ununterbrochene Reihe von Automobilen stockend sich am
Haupttor vorbeibewegte. Diese Automobile waren, um nur so bald als
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik