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Delamarches!‹ sagte ich mir. Der Diener blieb noch, während ich aß, ein
Weilchen bei mir stehen und erzählte mir einiges über Brunelda, und da habe
ich gesehen, welche Bedeutung der Besuch bei Brunelda für uns haben
könnte. Denn Brunelda war eine geschiedene Frau, hatte ein großes
Vermögen und war vollständig selbständig! Ihr früherer Mann, ein
Kakaofabrikant, liebte sie zwar noch immer, aber sie wollte von ihm nicht das
geringste hören. Er kam sehr oft in die Wohnung, immer sehr elegant, wie zu
einer Hochzeit, angezogen – das ist Wort für Wort wahr, ich kenne ihn
selbst –, aber der Diener wagte trotz der größten Bestechung nicht, Brunelda
zu fragen, ob sie ihn empfangen wollte, denn er hatte schon einige Male
gefragt, und immer hatte ihm Brunelda das, was sie gerade bei der Hand
hatte, ins Gesicht geworfen. Einmal sogar ihre große gefüllte Wärmflasche,
und mit der hatte sie ihm einen Vorderzahn ausgeschlagen. Ja, Roßmann, da
schaust du!«
»Woher kennst du den Mann?« fragte Karl.
»Er kommt manchmal auch herauf«, sagte Robinson.
»Herauf?« Karl schlug vor Staunen leicht mit der Hand auf den Boden.
»Du kannst ruhig staunen«, fuhr Robinson fort, »selbst ich habe gestaunt,
wie mir das der Diener damals erzählt hat. Denk nur, wenn Brunelda nicht zu
Hause war, hat sich der Mann von dem Diener in ihre Zimmer führen lassen
und immer eine Kleinigkeit als Andenken mitgenommen und immer etwas
sehr Teures und Feines für Brunelda zurückgelassen und dem Diener streng
verboten zu sagen, von wem es ist. Aber einmal, als er etwas – wie der Diener
sagte, und ich glaube es – geradezu Unbezahlbares aus Porzellan mitgebracht
hatte, muß Brunelda es irgendwie erkannt haben, hat es sofort auf den Boden
geworfen, ist darauf herumgetreten, hat es angespuckt und noch einiges
andere damit gemacht, so daß es der Diener vor Ekel kaum hinaustragen
konnte.«
»Was hat ihr denn der Mann getan?« fragte Karl.
»Das weiß ich eigentlich nicht«, sagte Robinson. »Ich glaube aber, nichts
Besonderes, wenigstens weiß er es selbst nicht. Ich habe ja schon manchmal
mit ihm darüber gesprochen. Er erwartet mich täglich dort an der
Straßenecke, wenn ich komme, so muß ich ihm Neuigkeiten erzählen; kann
ich nicht kommen, wartet er eine halbe Stunde und geht dann wieder weg. Es
war für mich ein guter Nebenverdienst, denn er bezahlte die Nachrichten sehr
vornehm, aber seit Delamarche davon erfahren hat, muß ich ihm alles
abliefern, und so gehe ich seltener hin.«
»Aber was will der Mann haben?« fragte Karl. »Was will er denn haben?
Er hört doch, sie will ihn nicht.«
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik