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beiden Armen unter dem Kanapee herum, beförderte aber nichts anderes als
Knäuel von Staub und Frauenhaaren heraus. Karl eilte zuerst zum Waschtisch,
der gleich bei der Türe stand, aber in seinen Schubladen fanden sich nur alte
englische Romane, Zeitschriften und Noten vor, und alles war so überfüllt,
daß man die Schubladen nicht schließen konnte, wenn man sie einmal
aufgemacht hatte. »Das Parfüm«, seufzte unterdessen Brunelda, »wie lange
das dauert! Ob ich heute noch mein Parfüm bekomme!« Bei dieser Ungeduld
Bruneldas durfte natürlich Karl nirgends gründlich suchen, er mußte sich auf
den oberflächlichen ersten Eindruck verlassen. Im Waschkasten war die
Flasche nicht, auf dem Waschkasten standen überhaupt nur alte Fläschchen
mit Medizinen und Salben, alles andere war jedenfalls schon in den
Waschraum getragen worden. Vielleicht war die Flasche in der Schublade des
Eßtisches. Auf dem Weg zum Eßtisch aber – Karl dachte nur an das Parfüm,
sonst an nichts – stieß er heftig mit Robinson zusammen, der das Suchen
unter dem Kanapee endlich aufgegeben hatte und in einer aufdämmernden
Ahnung vom Standort des Parfüms wie blind Karl entgegenlief. Man hörte
deutlich das Zusammenschlagen der Köpfe, Karl blieb stumm, Robinson hielt
zwar im Lauf nicht ein, schrie aber, um sich den Schmerz zu erleichtern,
andauernd und übertrieben laut.
»Statt das Parfüm zu suchen, kämpfen sie«, sagte Brunelda. »Ich werde
krank von dieser Wirtschaft, Delamarche, und werde ganz gewiß in deinen
Armen sterben. – Ich muß das Parfüm haben«, rief sie dann, sich aufraffend,
»ich muß es unbedingt haben! Ich gehe nicht aus der Wanne, ehe man es mir
bringt, und müßte ich hier bis zum Abend bleiben.« Und sie schlug mit der
Faust ins Wasser, man hörte es aufspritzen.
Aber auch in der Schublade des Eßtisches war das Parfüm nicht, zwar
waren dort ausschließlich Toilettengegenstände Bruneldas, wie alte
Puderquasten, Schminktöpfchen, Haarbürsten, Löckchen und viele verfilzte
und zusammengeklebte Kleinigkeiten, aber das Parfüm war nicht dort. Und
auch Robinson, der, noch immer schreiend, in einer Ecke von etwa hundert
dort aufgehäuften Schachteln und Kassetten eine nach der anderen öffnete
und durchkramte, wobei immer die Hälfte des Inhalts, meist Nähzeug und
Briefschaften, auf den Boden fiel und dort liegenblieb, konnte nichts finden,
wie er zeitweise Karl durch Kopfschütteln und Achselzucken anzeigte.
Da sprang Delamarche in Unterkleidung aus dem Waschraum hervor,
während man Brunelda krampfhaft weinen hörte. Karl und Robinson ließen
vom Suchen ab und sahen den Delamarche an, der, ganz und gar durchnäßt –
auch vom Gesicht und von den Haaren rann ihm das Wasser –, ausrief: »Jetzt
also fangt gefälligst zu suchen an!« – »Hier!« befahl er zuerst Karl zu suchen
und dann »Dort!« dem Robinson. Karl suchte wirklich und überprüfte auch
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Buch Amerika"
Amerika
- Titel
- Amerika
- Autor
- Franz Kafka
- Datum
- 1927
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 212
- Schlagwörter
- Der Verschollene, Literatur, Schriftsteller, Erzählung
- Kategorien
- Weiteres Belletristik