Seite - 8 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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ertastete ich mit meinem Fuß unter mir ein Bündel Taue. Ich setzte mich hin,
die Augen geschlossen und doch nicht Dunkels voll, denn über sie, über mich
strömte der silberne Glanz. Unten fühlte ich die Wasser leise rauschen, über
mir mit unhörbarem Klang den weißen Strom dieser Welt. Und allmählich
schwoll dies Rauschen mir ins Blut: ich fühlte mich selbst nicht mehr, wußte
nicht, ob dies Atmen mein eigenes war oder des Schiffes fernpochendes Herz,
ich strömte, verströmte in diesem ruhelosen Rauschen der mitternächtigen
Welt.
*
Ein leises, trockenes Husten hart neben mir ließ mich auffahren. Ich schrak
aus meiner fast schon trunkenen Träumerei. Meine Augen, geblendet vom
weißen Geleucht über den bislang geschlossenen Lidern, tasteten auf: mir
knapp gegenüber im Schatten der Bordwand glänzte etwas wie der Reflex
einer Brille, und jetzt glühte ein dicker, runder Funke auf, die Glut einer
Pfeife. Ich hatte, als ich mich hinsetzte, einzig niederbückend in die
schaumige Bugschneide und empor zum Südkreuz, offenbar diesen Nachbarn
nicht bemerkt, der regungslos hier die ganze Zeit gesessen haben mußte.
Unwillkürlich, noch dumpf in den Sinnen, sagte ich auf deutsch:
»Verzeihung!« »Oh, bitte … « antwortete die Stimme deutsch aus dem
Dunkel.
Ich kann nicht sagen, wie seltsam und schaurig das war, dies stumme
Nebeneinandersitzen im Dunkeln knapp neben einem, den man nicht sah.
Unwillkürlich hatte ich das Gefühl, als starre dieser Mensch auf mich genau
wie ich auf ihn starrte: aber so stark war das Licht über uns, das
weißflimmernd flutende, daß keiner von keinem mehr sehen konnte als den
Umriß im Schatten. Nur den Atem meinte ich zu hören und das fauchende
Saugen an der Pfeife.
Das Schweigen war unerträglich. Ich wäre am liebsten weggegangen, aber
das schien doch zu brüsk, zu plötzlich. Aus Verlegenheit nahm ich mir eine
Zigarette heraus. Das Zündholz zischte auf, eine Sekunde lang zuckte Licht
über den engen Raum. Ich sah hinter Brillengläsern ein fremdes Gesicht, das
ich nie an Bord gesehen, bei keiner Mahlzeit, bei keinem Gang, und sei es,
daß die plötzliche Flamme den Augen wehtat oder war es eine Halluzination:
es schien grauenhaft verzerrt, finster und koboldhaft. Aber ehe ich
Einzelheiten deutlich wahrnahm, schluckte das Dunkel wieder die flüchtig
erhellten Linien fort, nur den Umriß sah ich einer Gestalt, dunkel ins Dunkel
gedrückt und manchmal den kreisrunden roten Feuerring der Pfeife im
Leeren. Keiner sprach, und dies Schweigen war schwül und drückend wie die
tropische Luft.
Endlich ertrug ichs nicht mehr. Ich stand auf und sagte höflich »Gute
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik