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Radiumzifferblatt der Uhr deckten sich die beiden Zeiger in einem
leuchtenden Strich. Hastig stieg ich aus der schwülen Kabine in die noch
schwülere Nacht.
Die Sterne strahlten wie gestern und schütteten ein diffuses Licht über das
zitternde Schiff, hoch oben flammte das Kreuz des Südens. Alles war wie
gestern – in den Tropen sind die Tage, die Nächte zwillingshafter als in
unseren Sphären – nur in mir war nicht dies weiche, flutende, träumerische
Gewiegtsein wie gestern. Irgend etwas zog mich, verwirrte mich, und ich
wußte, wohin es mich zog: hin zu dem schwarzen Gewind am Kiel, ob er
wieder dort starr sitze, der Geheimnisvolle. Von oben her schlug die
Schiffsglocke. Dies riß mich fort. Schritt für Schritt, widerwillig und doch
gezogen, gab ich mir nach. Noch war ich nicht am Steven, da zuckte plötzlich
dort etwas auf wie ein rotes Auge: die Pfeife. Er saß also dort.
Unwillkürlich schreckte ich zurück und blieb stehen. Im nächsten
Augenblick wäre ich gegangen. Da regte es sich drüben im Dunkel, etwas
stand auf, tat zwei Schritte, und plötzlich hörte ich knapp vor mir seine
Stimme, höflich und gedrückt.
»Verzeihen Sie,« sagte er, »Sie wollen offenbar wieder an Ihren Platz, und
ich habe das Gefühl, Sie flüchteten zurück, als Sie mich sahen. Bitte, setzen
Sie sich nur hin, ich gehe schon wieder.«
Ich eilte, ihm meinerseits zu sagen, daß er nur bleiben solle, ich sei bloß
zurückgetreten, um ihn nicht zu stören. »Mich stören Sie nicht,« sagte er mit
einer gewissen Bitterkeit, »im Gegenteil, ich bin froh, einmal nicht allein zu
sein. Seit zehn Tagen habe ich kein Wort gesprochen … eigentlich seit Jahren
nicht … und da geht es so schwer, eben vielleicht weil man schon erstickt
daran, alles in sich hineinzuwürgen … Ich kann nicht mehr in der Kabine
sitzen, in diesem … diesem Sarg … ich kann nicht mehr … und die
Menschenertrage ich wieder nicht, weil sie den ganzen Tag lachen … Das
kann ich nicht ertragen jetzt … ich höre es hinein bis in die Kabine und stopfe
mir die Ohren zu … freilich, sie wissen ja nicht, daß … nun sie wissens eben
nicht, und dann, was geht das die Fremden an … «
Er stockte wieder. Und sagte dann ganz plötzlich und hastig: »Aber ich will
Sie nicht belästigen … verzeihen Sie meine Geschwätzigkeit.«
Er verbeugte sich und wollte fort. Aber ich widersprach ihm dringlich. »Sie
belästigen mich durchaus nicht. Auch ich bin froh, hier ein paar stille Worte
zu haben … Nehmen Sie eine Zigarette?«
Er nahm eine. Ich zündete an. Wieder riß sich das Gesicht flackernd vom
schwarzen Bordrand los, aber jetzt voll mir zugewandt: die Augen hinter der
Brille forschten in mein Gesicht, gierig und mit einer irren Gewalt. Ein
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik