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von einer neuen Injektion, die ich als erster praktiziert hatte. Da kam eine
Weibergeschichte, eine Person, die ich im Krankenhaus kennen lernte: sie
hatte ihren Geliebten so toll gemacht, daß er sie mit dem Revolver anschoß,
und bald war ich ebenso toll wie er. Sie hatte eine Art, hochmütig und kalt zu
sein, die mich rasend machte – mich hatten immer schon Frauen in der Faust,
die herrisch und frech waren, aber diese bog mich zusammen, daß mir die
Knochen brachen. Ich tat, was sie wollte, ich – nun, warum soll ichs nicht
sagen, es sind acht Jahre her – ich tat für sie einen Griff in die Spitalskasse,
und als die Sache aufflog, war der Teufel los. Ein Onkel deckte noch den
Abgang, aber mit der Karriere war es vorbei. Damals hörte ich gerade, die
holländische Regierung werbe Ärzte an für die Kolonien und biete ein
Handgeld. Nun, ich dachte gleich, es müßte ein sauberes Ding sein, für das
man Handgeld biete, ich wußte, daß die Grabkreuze auf diesen
Fieberplantagen dreimal so schnell wachsen als bei uns, aber wenn man jung
ist, glaubt man, das Fieber und der Tod springt immer nur auf die andern.
Nun, ich hatte da nicht viel Wahl, ich fuhr nach Rotterdam, verschrieb mich
auf zehn Jahre, bekam ein ganz nettes Bündel Banknoten, die Hälfte schickte
ich nach Hause an den Onkel, die andere Hälfte jagte mir eine Person dort im
Hafenviertel ab, die alles von mir herauskriegte, nur weil sie jener verfluchten
Katze so ähnlich war. Ohne Geld, ohne Uhr, ohne Illusionen bin ich dann
abgesegelt von Europa und war nicht sonderlich traurig, als wir aus dem
Hafen steuerten. Und dann saß ich so auf Deck wie Sie, wie alle saßen und
sah das Südkreuz und die Palmen, das Herz ging mir auf – ah, Wälder,
Einsamkeit, Stille, träumte ich! Nun – an Einsamkeit bekam ich gerade
genug. Man setzte mich nicht nach Batavia oder Surabaya, in eine Stadt, wo
es Menschen gibt und Klubs und Golf und Bücher und Zeitungen, sondern –
nun der Name tut ja nichts zur Sache – in irgendeine der Distriktstationen,
zwei Tagereisen von der nächsten Stadt. Ein paar langweilige, verdorrte
Beamte, ein paar Halfcast, das war meine ganze Gesellschaft, sonst weit und
breit nur Wald, Plantagen, Dickicht und Sumpf.
Im Anfang wars noch erträglich. Ich trieb allerhand Studien; einmal, als der
Vizeresident auf der Inspektionsreise mit dem Automobil umgeworfen und
sich ein Bein zerschmettert hatte, machte ich ohne Gehilfen eine Operation,
über die viel geredet wurde, ich sammelte Gifte und Waffen der
Eingeborenen, ich beschäftigte mich mit hundert kleinen Dingen, um mich
wach zu halten. Aber all dies ging nur, solang die Kraft von Europa her in mir
noch funktionierte: dann trocknete ich ein. Die paar Europäer langweilten
mich, ich brach den Verkehr ab, trank und träumte in mich hinein. Ich hatte ja
nur noch zwei Jahre, dann war ich frei mit Pension, konnte nach Europa
zurückkehren, noch einmal ein Leben anfangen. Eigentlich tat ich nichts mehr
als warten, stilliegen und warten. Und so säße ich heute noch, wenn nicht
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik