Seite - 20 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
Bild der Seite - 20 -
Text der Seite - 20 -
»Ich glaube es zu wissen. Aber seien wir lieber ganz deutlich. Sie wollen
Ihrem Zustand ein Ende bereiten … Sie wollen, daß ich Sie von Ihrer
Ohnmacht, Ihren Übelkeiten befreie, indem ich … indem ich die Ursache
beseitige. Ist es das?«
»Ja.«
Wie ein Fallbeil zuckte das Wort.
»Wissen Sie auch, daß solche Versuche gefährlich sind … für beide
Teile … ?«
»Ja.«
»Daß es gesetzlich mir untersagt ist?«
»Es gibt Möglichkeiten, wo es nicht untersagt, sondern sogar geboten ist.«
»Aber diese erfordern eine ärztliche Indikation.«
»So werden Sie diese Indikation finden. Sie sind Arzt.«
Klar, starr, ohne zu zucken, blickten mich ihre Augen dabei an. Es war ein
Befehl, und ich Schwächling bebte in Bewunderung vor der dämonischen
Herrischkeit ihres Willens. Aber ich krümmte mich noch, ich wollte nicht
zeigen, daß ich schon zertreten war. – »Nur nicht zu rasch! Umstände
machen! Sie zur Bitte zwingen«, funkelte in mir irgendein Gelüst.
»Das liegt nicht immer im Willen des Arztes. Aber ich bin bereit, mit
einem Kollegen im Krankenhaus … «
»Ich will Ihren Kollegen nicht … ich bin zu Ihnen gekommen.«
»Darf ich fragen, warum gerade zu mir?«
Sie sah mich kalt an.
»Ich habe kein Bedenken, es Ihnen zu sagen. Weil Sie abseits wohnen, weil
Sie mich nicht kennen – weil Sie ein guter Arzt sind, und weil Sie … « jetzt
zögerte sie zum ersten Male – »wohl nicht mehr lange in dieser Gegend
bleiben werden, besonders wenn Sie … wenn Sie eine größere Summe nach
Hause bringen können.«
Mich überliefs kalt. Diese eherne, diese Merchant-, diese
Kaufmannsklarheit der Berechnung betäubte mich. Bisher hatte sie ihre
Lippen noch nicht zur Bitte aufgetan – aber alles längst auskalkuliert, mich
erst umlauert und dann aufgespürt. Ich spürte, wie das Dämonische ihres
Willens in mich eindrang, aber ich wehrte mich mit all meiner Erbitterung.
Noch einmal zwang ich mich sachlich – ja fast ironisch zu sein.
»Und diese größere Summe würden Sie … würden Sie mir zur Verfügung
20
zurück zum
Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik