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Rasender muĂź ich ihnen erscheinen, wie ich da naĂź und schmierig ankam, die
Frage voranschreiend, ehe ich noch stand … Unten an der Straße sehe ich
weiß den Qualm des Autos wirbeln … es ist ihr gelungen … gelungen wie
alles ihrer harten, grausam harten Berechnung gelingen muĂź.
Aber die Flucht hilft ihr nichts … In den Tropen gibt es kein Geheimnis
unter den Europäern … einer kennt den andern, alles wird zum Ereignis …
Nicht umsonst ist ihr Chauffeur eine Stunde im Bungalow der Regierung
gestanden … in einigen Minuten weiß ich alles … Weiß, wer sie ist … daß sie
unten in – nun in der Regierungsstadt wohnt, acht Eisenbahnstunden von
hier … daß sie – nun sagen wir, die Frau eines Großkaufmannes ist, rasend
reich, vornehm, eine Engländerin … ich weiß, daß ihr Mann jetzt fünf Monate
in Amerika war und nächster Tage eintreffen soll, um sie mit nach Europa zu
nehmen …
Sie aber – und wie Gift brennt sich mir der Gedanke in die Adern hinein –
sie kann höchstens zwei oder drei Monate in andern Umständen sein … «
*
»Bisher konnte ich Ihnen noch alles begreiflich machen … vielleicht nur
deshalb, weil ich bis zu diesem Augenblicke mich noch selbst verstand … mir
als Arzt immer die Diagnose meines Zustands selbst stellte. Aber von da an
begann es wie ein Fieber in mir … ich verlor die Kontrolle über mich … das
heiĂźt, ich wuĂźte genau, wie sinnlos alles war, was ich tat; aber ich hatte keine
Macht mehr über mich … ich verstand mich selbst nicht mehr … ich lief nur
in der Besessenheit meines Ziels vorwärts … Übrigens warten Sie …
vielleicht kann ich es Ihnen doch begreiflich machen … Wissen Sie, was
Amok ist?«
»Amok? … ich glaube mich zu erinnern … Eine Art Trunkenheit bei den
Malaien … «
»Es ist mehr als Trunkenheit … es ist Tollheit, eine Art menschlicher
Hundswut … ein Anfall mörderischer, sinnloser Monomanie, der sich mit
keiner andern alkoholischen Vergiftung vergleichen läßt … ich habe selbst
während meines Aufenthaltes einige Fälle studiert – für andere ist man ja
immer sehr klug und sehr sachlich – ohne aber je das furchtbare Geheimnis
ihres Ursprungs freilegen zu können … Irgendwie hängt es mit dem Klima
zusammen, mit dieser schwülen, geballten Atmosphäre, die auf die Nerven
wie ein Gewitter drückt, bis sie einmal losspringen … Also Amok … ja,
Amok, das ist so: Ein Malaie, irgendein ganz einfacher, ganz gutmĂĽtiger
Mensch, trinkt sein Gebräu in sich hinein … er sitzt da, stumpf, gleichgültig,
matt … so wie ich in meinem Zimmer saß … und plötzlich springt er auf, faßt
den Dolch und rennt auf die Straße … rennt geradeaus, immer nur
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik