Seite - 28 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Schlaf war die einzige Pause in diesem Rennen zwischen Leben und Tod.«
*
Die Schiffsglocke klang. Zwei harte, volle Schläge, die noch im weichen
Teich der fast reglosen Luft zitternd weiterschwangen und dann verebbten in
das leise, unaufhörliche Rauschen, das unter dem Kiele und zwischen
der leidenschaftlichen Rede beharrlich mitlief. Der Mensch im Dunkeln mir
gegenĂĽber muĂźte erschreckt aufgefahren sein, seine Rede stockte. Wieder
hörte ich die Hand hinab zur Flasche fingern, wieder das leise Glucksen.
Dann begann er gleichsam beruhigt, mit einer festeren Stimme.
»Die Stunden von diesem Augenblick an kann ich Ihnen kaum erzählen.
Ich glaube heute, daĂź ich damals Fieber hatte, jedenfalls war ich in einer Art
Überreiztheit, die an Tollheit grenzte – ein Amokläufer, wie ich Ihnen sagte.
Aber vergessen Sie nicht, es war Dienstag nachts, als ich ankam, Samstag
aber sollte – dies hatte ich inzwischen erfahren – ihr Gatte mit dem P. & O.-
Dampfer von Yokohama eintreffen, es blieben also nur drei Tage, drei knappe
Tage fĂĽr den EntschluĂź und fĂĽr die Hilfe. Verstehen Sie das: ich wuĂźte, daĂź
ich ihr sofort helfen muĂźte, und konnte doch kein Wort zu ihr sprechen. Und
gerade dieses Bedürfnis, mein lächerliches, mein tollwütiges Benehmen zu
entschuldigen, das hetzte mich weiter. Ich wuĂźte um die Kostbarkeit jedes
Augenblickes, ich wuĂźte, daĂź es fĂĽr sie um Leben und Tod ginge, und hatte
doch keine Möglichkeit, mich nur mit einem Flüstern, mit einem Zeichen ihr
zu nähern, denn gerade das Stürmische, das Tölpische meines Nachrennens
hatte sie erschreckt. Es war … ja, warten Sie … es war, wie wenn einer einem
nachrennt, um ihn zu warnen vor einem Mörder, und der andere hält ihn
selbst für den Mörder, und so rennt er weiter in sein Verderben … sie sah nur
den Amokläufer in mir, der sie verfolgte, um sie zu demütigen, aber ich …
das war ja der entsetzliche Widersinn … ich dachte gar nicht mehr an das …
ich war ja schon ganz vernichtet, ich wollte ihr nur helfen, ihr nur dienen …
einen Mord hätte ich getan, ein Verbrechen, um ihr zu helfen … Aber sie, sie
verstand es nicht. Als ich morgens aufwachte und gleich wieder hinlief zu
ihrem Haus, stand der Boy vor der TĂĽr, derselbe Boy, den ich ins Gesicht
geschlagen, und wie er mich von ferne sah – er mußte auf mich gewartet
haben –, huschte er hinein in die Tür. Vielleicht tat er es nur, um mich im
geheimen anzumelden … vielleicht … ah, diese Ungewißheit, wie peinigt sie
mich jetzt … vielleicht war schon alles bereit, mich zu empfangen … aber da,
wie ich ihn sah, mich erinnerte an meine Schmach, da war ich es wieder, der
nicht wagte, noch einmal den Besuch zu wiederholen … Die Knie zitterten
mir. Knapp vor der Schwelle drehte ich mich um und ging wieder fort … ging
fort, während sie vielleicht in ähnlicher Qual auf mich wartete.
Ich wuĂźte jetzt nicht mehr, was tun in der fremden Stadt, die an meinen
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik