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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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wahre, das entscheidende Wort. Und ich riß noch einmal die Feder zwischen die Finger und schrieb auf das letzte Blatt: »Ich warte hier im Strandhotel auf ein Wort der Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe, erschieße ich mich.« Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hieß ihn das Schreiben sofort überbringen. Endlich war alles gesagt – alles!« * Etwas klirrte und kollerte neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte er die Whiskyflasche umgestoßen, ich hörte, wie seine Hand ihr suchend am Boden nachtastete und sie dann mit einem plötzlichen Schwung faßte: in weitem Bogen warf er die geleerte Flasche über Bord. Einige Minuten schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und hastiger als zuvor. »Ich bin kein gläubiger Christ mehr … für mich gibt es keinen Himmel und keine Hölle … und wenn es eine gibt, so fürchte ich sie nicht, denn sie kann nicht ärger sein als jene Stunden, die ich von vormittag bis abends erlebte … Denken Sie sich ein kleines Zimmer, heiß in der Sonne, immer glühender im Mittagsbrand … ein kleines Zimmer, nur Tisch und Stuhl und Bett … Und auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und einen Revolver und vor dem Tisch einen Menschen … einen Menschen, der nichts tut als immer auf diesen Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr starren … einen Menschen, der nicht ißt und nicht trinkt und nicht raucht und sich nicht regt … der immer nur … hören Sie: immer nur, drei Stunden lang … auf den weißen Kreis des Zifferblattes starrt und auf den kleinen Zeiger, der tickend den Kreis umläuft … So … so … habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet, gewartet, gewartet … aber gewartet wie … wie eben ein Amokläufer etwas tut, sinnlos, tierisch, mit dieser rasenden, geradlinigen Beharrlichkeit. Nun … ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern … das läßt sich nicht schildern … ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das erleben kann ohne … ohne wahnsinnig zu werden … Also … um drei Uhr zweiundzwanzig Minuten … ich weiß es genau, ich starrte ja auf die Uhr … klopft es plötzlich an die Tür … Ich springe auf … springe, wie ein Tiger auf seine Beute springt, mit einem Ruck durch das ganze Zimmer zur Tür, reiße sie auf … ein ängstlicher kleiner Chinesenjunge steht draußen, einen zusammengefalteten Zettel in der Hand, und während ich gierig darnach greife, huscht er schon weg und ist verschwunden. Ich reiße den Zettel auf, will ihn lesen … und kann ihn nicht lesen … Mir schwankt es rot vor den Augen … denken Sie die Qual, ich habe endlich, habe endlich das Wort von ihr … und nun zittert und tanzt es mir vor den 34
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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