Seite - 34 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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wahre, das entscheidende Wort. Und ich riß noch einmal die Feder zwischen
die Finger und schrieb auf das letzte Blatt: »Ich warte hier im Strandhotel auf
ein Wort der Verzeihung. Wenn ich bis sieben Uhr keine Antwort habe,
erschieße ich mich.«
Dann nahm ich den Brief, schellte einem Boy und hieß ihn das Schreiben
sofort überbringen. Endlich war alles gesagt – alles!«
*
Etwas klirrte und kollerte neben uns. Mit einer heftigen Bewegung hatte er
die Whiskyflasche umgestoßen, ich hörte, wie seine Hand ihr suchend am
Boden nachtastete und sie dann mit einem plötzlichen Schwung faßte: in
weitem Bogen warf er die geleerte Flasche über Bord. Einige Minuten
schwieg die Stimme, dann fieberte er wieder fort, noch erregter und hastiger
als zuvor.
»Ich bin kein gläubiger Christ mehr … für mich gibt es keinen Himmel und
keine Hölle … und wenn es eine gibt, so fürchte ich sie nicht, denn sie kann
nicht ärger sein als jene Stunden, die ich von vormittag bis abends erlebte …
Denken Sie sich ein kleines Zimmer, heiß in der Sonne, immer glühender im
Mittagsbrand … ein kleines Zimmer, nur Tisch und Stuhl und Bett … Und
auf diesem Tisch nichts als eine Uhr und einen Revolver und vor dem Tisch
einen Menschen … einen Menschen, der nichts tut als immer auf diesen
Tisch, auf den Sekundenzeiger der Uhr starren … einen Menschen, der nicht
ißt und nicht trinkt und nicht raucht und sich nicht regt … der immer nur …
hören Sie: immer nur, drei Stunden lang … auf den weißen Kreis des
Zifferblattes starrt und auf den kleinen Zeiger, der tickend den Kreis
umläuft … So … so … habe ich diesen Tag verbracht, nur gewartet, gewartet,
gewartet … aber gewartet wie … wie eben ein Amokläufer etwas tut, sinnlos,
tierisch, mit dieser rasenden, geradlinigen Beharrlichkeit.
Nun … ich werde Ihnen diese Stunden nicht schildern … das läßt sich nicht
schildern … ich verstehe ja selbst nicht mehr, wie man das erleben kann
ohne … ohne wahnsinnig zu werden … Also … um drei Uhr
zweiundzwanzig Minuten … ich weiß es genau, ich starrte ja auf die Uhr …
klopft es plötzlich an die Tür … Ich springe auf … springe, wie ein Tiger auf
seine Beute springt, mit einem Ruck durch das ganze Zimmer zur Tür, reiße
sie auf … ein ängstlicher kleiner Chinesenjunge steht draußen, einen
zusammengefalteten Zettel in der Hand, und während ich gierig darnach
greife, huscht er schon weg und ist verschwunden.
Ich reiße den Zettel auf, will ihn lesen … und kann ihn nicht lesen … Mir
schwankt es rot vor den Augen … denken Sie die Qual, ich habe endlich,
habe endlich das Wort von ihr … und nun zittert und tanzt es mir vor den
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik