Seite - 35 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Pupillen … Ich tauche den Kopf ins Wasser … nun wirds mir klarer …
Nochmals nehme ich den Zettel und lese:
»Zu spät! Aber warten Sie zu Hause. Vielleicht rufe ich Sie noch.«
Keine Unterschrift auf dem zerknĂĽllten Papier, das von irgendeinem alten
Prospekt abgefetzt war … hastige, verworrene Bleistiftzüge einer sonst
sicheren Schrift … ich weiß nicht, warum mich das Blatt so erschütterte …
Irgend etwas von Grauen, von Geheimnis haftete ihm an, es war wie auf
einer Flucht geschrieben, stehend an einer Fensternische oder in einem
fahrenden Wagen … Etwas Unbeschreibliches von Angst, von Hast, von
Entsetzen schlug kalt von diesem heimlichen Zettel mir in die Seele … und
doch … und doch, ich war glücklich: sie hatte mir geschrieben, ich mußte
noch nicht sterben, ich durfte ihr helfen … vielleicht … ich durfte … oh, ich
verlor mich ganz in den wahnwitzigsten Konjekturen und Hoffnungen …
Hundertemal, tausendemal habe ich den kleinen Zettel gelesen, ihn geküßt …
ihn durchforscht nach irgendeinem vergessenen, übersehenen Wort … immer
tiefer, immer verworrener wurde meine Träumerei, ein phantastischer Zustand
von Schlaf mit offenen Augen … eine Art Lähmung, irgend etwas ganz
Dumpfes und doch Bewegtes zwischen Schlaf und Wachsein, das vielleicht
Viertelstunden dauerte, vielleicht Stunden …
Plötzlich schreckte ich auf … Hatte es nicht geklopft? … Ich hielt den
Atem an … eine Minute, zwei Minuten reglose Stille … Und dann wieder
ganz leise, so wie eine Maus knabbert, ein leises aber heftiges Pochen … Ich
sprang auf, noch ganz taumelig, riĂź die TĂĽr auf drauĂźen stand der Boy, ihr
Boy, derselbe, dem ich den Mund damals mit der Faust zerschlagen … sein
braunes Gesicht war aschfahl, sein verwirrter Blick sagte Unglück … Sofort
spürte ich Grauen … »Was … was ist geschehen?« konnte ich noch
stammeln. »Come quickly«, sagte er … sonst nichts … sofort raste ich die
Treppe herunter, er mir nach … Ein Sado, so ein kleiner Wagen, stand bereit,
wir stiegen ein … »Was ist geschehen?« fragte ich ihn … Er sah mich zitternd
an und schwieg mit verbissenen Lippen … Ich fragte nochmals – er schwieg
und schwieg … Ich hätte ihm am liebsten wieder ins Gesicht geschlagen mit
der Faust, aber … gerade seine hündische Treue zu ihr rührte mich … so
fragte ich nicht mehr … Das Wägelchen trabte so hastig durch das Gewirr,
daß die Menschen fluchend auseinanderstoben, lief aus dem Europäerviertel
am Strand in die niedere Stadt und weiter, weiter ins schreiende Gewirr der
Chinesenstadt … Endlich kamen wir in eine enge Gasse, ganz abseits lag
sie … vor einem niedern Hause hielt er an … Es war schmutzig und wie in
sich zusammengekrochen, vorne ein kleiner Laden mit einem Talglicht …
irgendeine dieser Buden, in die sich die Opiumhäuser oder Bordelle
verstecken, ein Diebsnest oder ein Hehlerkeller … Hastig klopfte der Boy
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik