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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Gesellschaft der Kolonie, vollkommen gesund, die noch abends zuvor auf dem Regierungsball getanzt hat, liegt plötzlich tot in ihrem Bett … ein fremder Arzt ist bei ihr, den angeblich ihr Diener gerufen … niemand im Haus hat gesehen, wann und woher er kam … man hat sie nachts auf einer Sänfte hereingetragen und dann die Türen geschlossen … und morgens ist sie tot … dann erst hat man die Diener gerufen, und plötzlich gellt das Haus von Geschrei … im Nu wissen es die Nachbarn, die ganze Stadt … und nur einer ist da, der das alles erklären soll … ich, der fremde Mensch, der Arzt aus einer entlegenen Station … Eine erfreuliche Situation, nicht wahr? … Ich wußte, was mir bevorstand. Glücklicherweise war der Boy bei mir, der brave Bursche, der mir jeden Wink von den Augen las – auch dieses gelbe dumpfe Tier verstand, daß hier noch ein Kampf ausgetragen werden müsse. Ich hatte ihm nur gesagt: »Die Frau will, daß niemand erfährt, was geschehen ist.« Er sah mir in die Augen mit seinem hündisch feuchten und doch entschlossenen Blick: »Yes, Sir«, mehr sagte er nicht. Aber er wusch die Blutspuren vom Boden, richtete alles in beste Ordnung – und gerade seine Entschlossenheit gab mir die meine wieder. Nie im Leben, das weiß ich, habe ich eine ähnlich zusammengeballte Energie gehabt, nie werde ich sie wieder haben. Wenn man alles verloren hat, dann kämpft man um das Letzte wie ein Verzweifelter – und das Letzte war ihr Vermächtnis, das Geheimnis. Ich empfing voll Ruhe die Leute, erzählte ihnen allen die gleiche erdichtete Geschichte, wie der Boy, den sie um den Arzt gesandt hatte, mich zufällig auf dem Wege traf. Aber während ich scheinbar ruhig redete, wartete … wartete ich immer auf das Entscheidende … auf den Totenbeschauer, der erst kommen mußte, ehe wir sie in den Sarg verschließen konnten und das Geheimnis mit ihr … Es war, vergessen Sie nicht, Donnerstag, und Samstag kam ihr Gatte … Um neun Uhr hörte ich endlich, wie man den Amtsarzt anmeldete. Ich hatte ihn rufen lassen – er war mein Vorgesetzter im Rang und gleichzeitig mein Konkurrent, derselbe Arzt, von dem sie seinerzeit so verächtlich gesprochen und der offenbar meinen Wunsch nach Versetzung bereits erfahren hatte. Bei seinem ersten Blick spürte ichs schon: er war mir Feind. Aber gerade das straffte meine Kraft. Im Vorzimmer fragte er schon: »Wann ist Frau … – er nannte ihren Namen – gestorben?« »Um sechs Uhr morgens.« »Wann sandte sie zu Ihnen?« »Um elf Uhr abends.« 40
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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