Seite - 42 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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wird. Ich werde keine Lüge unterschreiben.«
Ich war ganz ruhig.
»Ja – das müssen Sie diesmal doch. Denn früher werden Sie das Zimmer
nicht verlassen.«
Ich griff dabei in die Tasche – meinen Revolver hatte ich nicht bei mir.
Aber er zuckte zusammen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sah ihn an.
»Hören Sie, ich werde Ihnen etwas sagen … damit es nicht zum Äußersten
kommt. Mir liegt an meinem Leben nichts … nichts an dem eines andern –
ich bin nun schon einmal soweit … mir liegt einzig daran, mein Versprechen
einzulösen, daß die Art dieses Todes geheim bleibt … Hören Sie: ich gebe
Ihnen mein Ehrenwort, daĂź, wenn Sie das Zertifikat unterfertigem, diese Frau
sei an … nun an einer Zufälligkeit gestorben, daß ich dann noch im Laufe
dieser Woche die Stadt und Indien verlasse … daß ich, wenn Sie es verlangen,
meinen Revolver nehme und mich niederschieĂźe, sobald der Sarg in der Erde
ist und ich sicher sein kann, daß niemand … Sie verstehen: niemand – mehr
nachforschen kann. Das wird Ihnen wohl genügen – das muß Ihnen genügen.«
Es muß etwas Drohendes, etwas Gefährliches in meiner Stimme gewesen
sein, denn wie ich unwillkürlich nähertrat, wich er zurück mit jenem
aufgerissenen Entsetzen, wie … wie eben Menschen vor dem Amokläufer
flüchten, wenn er rasend hinrennt mit geschwungenem Kris … Und mit
einemmal war er anders … irgendwie geduckt und gelähmt … seine harte
Haltung brach ein. Er murmelte mit einem letzten ganz weichen Widerstand:
»Es wäre das erstemal in meinem Leben, daß ich ein falsches Zertifikat
unterzeichnete … immerhin, es wird sich schon eine Form finden lassen …
man weiß ja auch, was vorkommt … Aber ich durfte doch nicht so ohne
weiteres … «
»Gewiß durften Sie nicht,« half ich ihm, um ihn zu bestärken – (›Nur
rasch! nur rasch!‹ tickte es mir in den Schläfen) – »aber jetzt, da Sie wissen,
daß Sie nur einen Lebenden kränken und einer Toten ein Entsetzliches täten,
werden Sie doch gewiß nicht zögern.«
Er nickte. Wir traten zum Tisch. Nach einigen Minuten war das Attest
fertig (das dann auch in der Zeitung veröffentlicht wurde und glaubhaft eine
Herzlähmung schilderte). Dann stand er auf, sah mich an:
»Sie reisen noch diese Woche, nicht wahr?«
»Mein Ehrenwort.«
Er sah mich wieder an. Ich merkte, er wollte streng, wollte sachlich
erscheinen. »Ich besorge sofort einen Sarg«, sagte er, um seine Verlegenheit
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik