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Die Frau und die Landschaft
Es war in jenem heißen Sommer, der durch Regennot und Dürre
verhängnisvolle Mißernte im ganzen Lande verschuldete und noch für lange
Jahre im Andenken der Bevölkerung gefürchtet blieb. Schon in den Monaten
Juni und Juli waren nur vereinzelte flüchtige Schauer über die dürstenden
Felder hingestreift, aber seit der Kalender zum August übergeschlagen, fiel
überhaupt kein Tropfen mehr, und selbst hier oben, in dem Hochtale Tirols,
wo ich, wie viele andere, Kühlung zu finden gewähnt hatte, glühte die Luft
safranfarben von Feuer und Staub. Frühmorgens schon starrte die Sonne gelb
und stumpf wie das Auge eines Fiebernden vom leeren Himmel auf die
erloschene Landschaft, und mit den steigenden Stunden quoll dann mählich
ein weißlicher drückender Dampf aus dem messingenen Kessel des Mittags
und überschwülte das Tal. Irgendwo freilich in der Ferne hoben sich die
Dolomiten mächtig auf, und Schnee glänzte von ihnen, rein und klar, aber nur
das Auge fühlte erinnernd diesen Schimmer der Kühle, und es tat weh, sie
schmachtend anzusehen und an den Wind zu denken, der sie vielleicht zur
gleichen Stunde rauschend umflog, indes hier im Talkessel eine gierige
Wärme nachts und tags sich zudrängte und mit tausend Lippen einem die
Feuchte entsog. Allmählich erstarb in dieser sinkenden Welt welkender
Pflanzen, hinschmachtenden Laubes und versiegender Bäche auch innen alle
lebendige Bewegung, müßig und träge wurden die Stunden. Ich, wie die
andern, verbrachte diese endlosen Tage fast nur mehr im Zimmer, halb
entkleidet, bei verdunkelten Fenstern, in einem willenlosen Warten
auf Veränderung, auf Kühlung, in einem stumpfen, machtlosen Träumen von
Regen und Gewitter. Und bald wurde auch dieser Wunsch welk, ein Brüten,
dumpf und willenlos wie das der lechzenden Gräser und der schwüle Traum
des reglosen, dunstumwölkten Waldes.
Aber es wurde nur noch heißer von Tag zu Tag, und der Regen wollte noch
immer nicht kommen. Von früh bis abends brannte die Sonne nieder, und ihr
gelber, quälender Blick bekam allmählich etwas von der stumpfen
Beharrlichkeit eines Wahnsinnigen. Es war, als ob das ganze Leben aufhören
wollte, alles stand stille, die Tiere lärmten nicht mehr, von weißen Feldern
kam keine andere Stimme als der leise singende Ton der schwingenden Hitze,
das surrende Brodeln der siedenden Welt. Ich hatte hinausgehen wollen in den
Wald, wo Schatten blau zwischen den Bäumen zitterten, um dort zu liegen,
um nur diesem gelben, beharrlichen Blick der Sonne zu entgehen; aber auch
diese wenigen Schritte schon wurden mir zu viel. So blieb ich sitzen auf
einem Rohrsessel vor dem Eingang des Hotels, eine Stunde oder zwei,
eingepreßt in den schmalen Schatten, den der schirmende Dachrand in den
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik