Seite - 54 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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und höhnisch eine letzte Helle, unten müde und lastend eine schwüle
Dunkelheit, feindlich war eines dem andern, unheimlich stummer Kampf
zwischen Himmel und Erde. Ich atmete tief und trank nur Erregung. Ich griff
ins Gras. Es war trocken wie Holz und knisterte blau in meinen Fingern.
Wieder rief der Gong. Widerlich war mir der tote Klang. Ich hatte keinen
Hunger, kein Verlangen nach Menschen, aber diese einsame Schwüle hier
draußen war zu fürchterlich. Der ganze schwere Himmel lastete stumm auf
meiner Brust, und ich fühlte, ich könnte seinen bleiernen Druck nicht länger
mehr tragen. Ich ging hinein in den Speisesaal. Die Leute saßen schon an
ihren kleinen Tischen. Sie sprachen leise, aber doch, mir war es zu laut. Denn
mir ward alles zur Qual, was an meine ausgereizten Nerven rührte: das leise
Lispeln der Lippen, das Klirren der Bestecke, das Rasseln der Teller, jede
einzelne Geste, jeder Atem, jeder Blick. Alles zuckte in mich hinein und tat
mir weh. Ich mußte mich bemeistern, um nicht etwas Sinnloses zu tun, denn
ich fühlte es an meinem Pulse: alle meine Sinne hatten Fieber. Jeden
einzelnen dieser Menschen mußte ich ansehen, und gegen jeden fühlte ich
Haß, als ich sie so friedlich dasitzen sah, gefräßig und gemächlich, indessen
ich glühte. Irgendein Neid überkam mich, daß sie so satt und sicher in sich
ruhten, anteillos an der Qual einer Welt, fühllos für die stille Raserei, die in
der Brust der verdurstenden Erde sich regte. Alle griff ich an mit dem Blick,
ob nicht einer wäre, der sie mitfühlte, aber alle schienen stumpf und
unbesorgt. Nur Ruhende und Atmende, Gemächliche waren hier, Wache,
Fühllose, Gesunde, und ich der einzige Kranke, der Einzige im Fieber der
Welt. Der Kellner brachte mir das Essen. Ich versuchte einen Bissen,
vermochte aber nicht, ihn hinabzuwürgen. Alles widerstrebte mir, was
Berührung war. Zu voll war ich von der Schwüle, dem Dunst, dem Brodem
der leidenden, kranken, zerquälten Natur.
Neben mir rückte ein Sessel. Ich fuhr auf. Jeder Laut streifte jetzt an mich
wie heißes Eisen. Ich sah hin. Fremde Menschen saßen dort, neue Nachbarn,
die ich noch nicht kannte. Ein älterer Herr und seine Frau, bürgerliche ruhige
Leute mit runden gelassenen Augen und kauenden Wangen. Aber ihnen
gegenüber, halb mit dem Rücken zu mir, ein junges Mädchen, ihre Tochter
offenbar. Nur den Nacken sah ich, weiß und schmal und darüber wie einen
Stahlhelm schwarz und fast blau das volle Haar. Sie saß reglos da, und an
ihrer Starre erkannte ich sie als dieselbe, die früher auf der Terrasse lechzend
und aufgetan vor dem Regen gestanden wie eine weiße, durstende Blume.
Ihre kleinen, kränklich schmalen Finger spielten unruhig mit dem Besteck,
aber doch, ohne daß es klirrte; und diese Stille um sie tat mir wohl. Auch sie
rührte keinen Bissen an, nur einmal griff ihre Hand hastig und gierig nach
dem Glas. Oh, sie fühlt es auch, das Fieber der Welt, spürte ich beglückt an
diesem durstigen Griff, und eine freundliche Teilnahme legte meinen Blick
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik