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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Seite - 56 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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mich hinein und blieb in mir festgehakt, tief und saugend, daß ich nur ihn spürte, ihr helles Gesicht darüber entschwand und ich einzig dieses düsternde Dunkel vor mir fühlte, in das ich stürzte wie in einen Abgrund. Sie machte noch einen Schritt vor, aber der Blick ließ mich nicht los, blieb in mich gebohrt wie eine schwarze Lanze, und ich spürte sein Eindringen tiefer und tiefer. Nun rührte seine Spitze bis an mein Herz, und es stand still. Ein, zwei Augenblicke hielt sie so den Blick an und ich den Atem, Sekunden, während derer ich mich machtlos weggerissen fühlte von dem schwarzen Magneten dieser Pupille. Dann war sie an mir vorbei. Und sofort fühlte ich mein Blut vorstürzen wie aus einer Wunde und erregt durch den ganzen Körper gehen. Was – was war das? Wie aus einem Tode wachte ich auf. War das mein Fieber, das mich so wirr machte, daß ich im flüchtigen Blick einer Vorübergehenden gleich ganz mich verlor? Aber mir war gewesen, als hätte ich in diesem Anschauen die gleiche stille Raserei gespürt, die schmachtende, sinnlose, verdurstende Gier, die sich mir jetzt in allem auftat, im Blick des roten Mondes, in den lechzenden Lippen der Erde, in der schreienden Qual der Tiere, dieselbe, die in mir funkelte und bebte. Oh, wie wirr alles durcheinander ging in dieser phantastischen schwülen Nacht, wie alles zergangen war in dies eine Gefühl von Erwartung und Ungeduld! War es mein Wahnsinn, war es der der Welt? Ich war erregt und wollte Antwort wissen, und so ging ich ihr nach in die Halle. Sie hatte sich dort niedergesetzt neben ihre Eltern und lehnte still in einem Fauteuil. Unsichtbar war der gefährliche Blick unter den verhangenen Lidern. Sie las ein Buch, aber ich glaubte ihr nicht, daß sie lese. Ich war gewiß, daß, wenn sie fühlte wie ich, wenn sie litt mit der sinnlosen Qual der verschwülten Welt, daß sie nicht rasten könnte im stillen Betrachten, daß dies ein Verstecken war, ein Verbergen vor fremder Neugier. Ich setzte mich gegenüber und starrte sie an, ich wartete fiebernd auf den Blick, der mich bezaubert hatte, ob er nicht wiederkommen wolle und mir sein Geheimnis lösen. Aber sie rührte sich nicht. Die Hand schlug gleichgültig Blatt um Blatt im Buche, der Blick blieb verhangen. Und ich wartete gegenüber, wartete heißer und heißer, irgendeine rätselhafte Macht des Willens spannte sich, muskelhaft stark, ganz körperlich, diese Verstellung zu zerbrechen. Zwischen all den Menschen, die dort gemächlich sprachen, rauchten und Karten spielten, hub nun ein stummes Ringen an. Ich spürte, daß sie sich weigerte, daß sie es sich versagte, aufzuschauen, aber je mehr sie widerstrebte, desto stärker wollte es mein Trotz, und ich war stark, denn in mir war die Erwartung der ganzen lechzenden Erde und die dürstende Glut der enttäuschten Welt. Und so wie an meine Poren noch immer die feuchte Schwüle der Nacht, so drängte sich mein Wille gegen den ihren, und ich wußte, sie müßte mir nun bald einen Blick hergeben, sie müßte es. Rückwärts im Saale begann jemand Klavier zu 56
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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