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furchtbares Rauschen, und schon baute sichs auf zum schwarzen Turm des
Himmels, schon warf sichs mir entgegen aus der Nacht, kalt, feucht und mit
wildem Stoß: der Wind. Aus dem Dunkel sprang er, gewaltig und stark, seine
Fäuste rissen an den Fenstern, hämmerten gegen das Haus. Wie ein
furchtbarer Schlund war das Finstere aufgetan, Wolken fuhren heran und
bauten schwarze Wände in rasender Eile empor, und etwas sauste gewalttätig
zwischen Himmel und Welt. Weggerissen war die beharrliche Schwüle von
dieser wilden Strömung, alles flutete, dehnte, regte sich, eine rasende Flucht
war von einem Ende zum andern des Himmels, und die Bäume, die
festgewurzelten in der Erde, stöhnten unter der unsichtbaren, sausenden,
pfeifenden Peitsche des Sturmes. Und plötzlich riß dies weiß entzwei: ein
Blitz, den Himmel spaltend bis zur Erde hinab. Und hinter ihm knatterte der
Donner, als krachte das ganze Gewölk in die Tiefe. Hinter mir rührte sichs.
Sie war aufgefahren. Der Blitz hatte den Schlaf von ihren Augen gerissen.
Verwirrt starrte sie um sich. »Was ists,« sagte sie, »wo bin ich?« Und ganz
anders war die Stimme als vordem. Angst bebte noch darin, aber der Ton
klang jetzt klar, war scharf und rein wie die neugegorene Luft. Wieder riß ein
Blitz den Rahmen der Landschaft auf: im Flug sah ich den erhellten Umriß
der Tannen, geschüttelt vom Sturm, die Wolken, die wie rasende Tiere über
den Himmel liefen, das Zimmer kalkweiß erhellt und weißer als alles ihr
blasses Gesicht. Sie sprang empor. Ihre Bewegungen waren mit einemmal
frei, wie ich sie nie an ihr gesehen. Sie starrte mich an in der Dunkelheit. Ich
spürte ihren Blick schwärzer als die Nacht. »Wer sind Sie … Wo bin ich?«
stammelte sie und raffte erschreckt das aufgesprengte Gewand über der Brust
zusammen. Ich trat näher, sie zu beruhigen, aber sie wich aus. »Was wollen
Sie von mir?« schrie sie mit voller Kraft, da ich ihr nahe kam. Ich wollte ein
Wort suchen, um sie zu beruhigen, sie anzusprechen, aber da merkte ich erst,
daß ich ihren Namen nicht kannte. Wieder wars ein Blitz Licht über das
Zimmer. Wie mit Phosphor bestrichen, blendeten kalkweiß die Wände, weiß
stand sie vor mir, die Arme im Schrecken gegen mich gestemmt, und in ihrem
nun wachen Blick war grenzenloser Haß. Vergebens wollte ich im Dunkel,
das mit dem Donner auf uns niederfiel, sie fassen, beruhigen, ihr etwas
erklären, aber sie riß sich los, stieß die Türe auf, die ein neuer Blitz ihr wies,
und stürzte hinaus. Und mit der Tür, die zufiel, krachte der Donner nieder, als
seien alle Himmel auf die Erde gefallen.
Und dann rauschte es, Bäche stürzten von unendlicher Höhe wie
Wasserfälle, und der Sturm schwenkte sie als nasse Taue prasselnd hin und
her. Manchmal schnellte er Büschel eiskalten Wassers und süßer, gewürzter
Luft zum Fensterrahmen herein, wo ich schauend stand, bis das Haar mir naß
war und ich troff von den kalten Schauern. Aber ich war selig, das reine
Element zu fühlen, mir war, als löste nun auch meine Schwüle sich in den
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik