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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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gestartet, der Knäuel sich geteilt haben und ein paar gemeinsam um die Führung streiten, denn schon lösten sich hier aus den Menschen, die geheimnisvoll die für mich unsichtbaren Bewegungen des Laufes mitlebten, Schreie los und aufgeregte Zurufe. An der Richtung ihrer Köpfe spürte ich die Biegung, an der die Reiter und Pferde jetzt auf dem länglichen Rasenoval angelangt sein mußten, denn immer einheitlicher, immer zusammengefaßter drängte sich, wie ein einziger aufgereckter Hals, das ganze Menschenchaos einem mir unsichtbaren Blickpunkt entgegen, und aus diesem einen ausgespannten Hals grölte und gurgelte mit tausenden zerriebenen Einzellauten eine immer höher gischtende Brandung. Und diese Brandung stieg und schwoll, schon füllte sie den ganzen Raum bis zum gleichgültig blauen Himmel. Ich sah in ein paar Gesichter hinein. Sie waren verzerrt wie von einem inneren Krampf, die Augen starr und funkelnd, die Lippen verbissen, das Kinn gierig vorgestoßen, die Nüstern pferdhaft gebläht. Spaßig und grauenhaft war mirs, nüchtern diese unbeherrschten Trunkenen zu betrachten. Neben mir stand auf einem Sessel ein Mann, elegant gekleidet, mit einem sonst wohl guten Gesicht, jetzt aber tobte er, von einem unsichtbaren Dämon beteufelt, er fuchtelte mit dem Stock in die leere Luft hinein, als peitschte er etwas vorwärts, sein ganzer Körper machte – unsagbar lächerlich für einen Zuschauer – die Bewegung des Raschreitens leidenschaftlich mit. Wie auf Steigbügeln wippte er mit den Fersen unablässig auf und nieder über dem Sessel, die rechte Hand jagte den Stock immer wieder als Gerte ins Leere, die linke knüllte krampfig einen weißen Zettel. Und immer mehr dieser weißen Zettel flatterten herum, wie Schaumspritzer gischteten sie über dieser graudurchstürmten Flut, die lärmend schwoll. Jetzt mußten an der Kurve ein paar Pferde ganz knapp beieinander sein, denn mit einem Male ballte sich das Gedröhn in zwei, drei, vier einzelne Namen, die immer wieder einzelne Gruppen wie Schlachtrufe schrien und tobten, und diese Schreie schienen wie ein Ventil für ihre delirierende Besessenheit. Ich stand inmitten dieser dröhnenden Tobsucht kalt wie ein Felsen im donnernden Meer und weiß noch heute genau zu sagen, was ich in jener Minute empfand. Das Lächerliche vorerst all dieser fratzenhaften Gebärden, eine ironische Verachtung für das Pöbelhafte des Ausbruches, aber doch noch etwas anderes, das ich mir ungern eingestand – irgendeinen leisen Neid nach solcher Erregung, solcher Brunst der Leidenschaft, nach dem Leben, das in diesem Fanatismus war. Was müßte, dachte ich, geschehen, um mich dermaßen zu erregen, mich dermaßen ins Fieber zu spannen, daß mein Körper so brennend, meine Stimme mir wider Willen aus dem Munde brechen würde? Keine Summe konnte ich mir denken, deren Besitz mich so anfeuern könnte, keine Frau, die mich dermaßen reizte, nichts, nichts gab es, was aus der Starre 74
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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