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meines Gefühls mich zu solcher Feurigkeit entfachen könnte! Vor einer
plötzlich gespannten Pistole würde mein Herz, eine Sekunde vor dem
Erstarren, nicht so wild hämmern, wie das in den tausend, zehntausend
Menschen rings um mich für eine Handvoll Geld. Aber jetzt mußte ein Pferd
dem Start ganz nahe sein, denn zu einem einzigen, immer schriller werdenden
Schrei von tausenden Stimmen gellte jetzt wie eine hochgespannte Saite ein
bestimmter Name empor aus dem Tumult, um dann schrill mit einem Male zu
zerreißen. Die Musik begann zu spielen, plötzlich zerbrach die Menge. Eine
Runde war zu Ende, ein Kampf entschieden, die Spannung löste sich in eine
quirlende, nur noch schlaff nachschwingende Bewegtheit. Die Masse, eben
noch ein brennendes Bündel Leidenschaft, fiel auseinander in viele einzelne
laufende, lachende, sprechende Menschen, ruhige Gesichter tauchten wieder
auf hinter der mänadischen Maske der Erregung; aus dem Chaos des Spiels,
das für Sekunden diese Tausende in einen einzigen glühenden Klumpen
geschmolzen hatte, schichteten sich wieder gesellschaftliche Gruppen, die
zusammentraten, sich lösten, Menschen, die ich kannte und die mich grüßten,
fremde, die sich gegenseitig kühl-höflich musterten und betrachteten. Die
Frauen prüften sich gegenseitig in ihren neuen Toiletten, die Männer warfen
begehrliche Blicke, jene mondäne Neugier, die der Teilnahmslosen
eigentliche Beschäftigung ist, begann sich zu entfalten, man suchte, zählte,
kontrollierte sich auf Anwesenheit und Eleganz. Schon wußten, kaum aus
dem Taumel erwacht, all diese Menschen nicht mehr, ob dies promenierende
Zwischenspiel oder das Spiel selbst der Zweck ihrer gesellschaftlichen
Vereinigung war.
Ich ging mitten durch dies laue Gewühl, grüßte und dankte, atmete wohlig
– war es doch die Atmosphäre meiner Existenz – den Duft von Parfüm und
Eleganz, der dies kaleidoskopische Durcheinander umschwebte, und noch
freudiger die leise Brise, die von drüben aus den Praterauen, aus dem
sommerlich durchwärmten Walde manchmal ihre Welle zwischen die
Menschen warf und den weißen Musselin der Frauen wie wollüstig-spielend
betastete. Ein paar Bekannte wollten mich ansprechen, Diane, die schöne
Schauspielerin, nickte einladend aus einer Loge herüber, aber ich ging keinem
zu. Es interessierte mich nicht, mit einem dieser mondänen Menschen heute
zu sprechen, es langweilte mich, in ihrem Spiegel mich selbst zu sehen, nur
das Schauspiel wollte ich umfassen, die knisternd-sinnliche Erregung, die
durch die aufgesteigerte Stunde ging (denn der anderen Erregtheit ist gerade
dem Teilnahmslosen das angenehmste Schauspiel). Ein paar schöne Frauen
gingen vorbei, ich sah ihnen frech, aber ohne innerliches Begehren auf die
Brüste, die unter der dünnen Gaze bei jedem Schritt bebten und lächelte
innerlich über ihre halb peinliche, halb wohlige Verlegenheit, wenn sie sich so
sinnlich abgeschätzt und frech entkleidet fühlten. In Wirklichkeit reizte mich
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik