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Sprosse des dargebotenen Sessels, so daß ich durch das durchbrochene Kleid
die Strümpfe bis zum Knieansatz sah, gleichzeitig schien aber ihr Lächeln zu
dem Begleiter hin irgendwie ironisch oder maliziös zu werden. Offenbar
spielte sie mit mir ebenso anteillos wie ich mit ihr, und ich mußte die
raffinierte Technik ihrer Verwegenheit haßvoll bewundern; denn während sie
mir mit falscher Heimlichkeit das Sinnliche ihres Körpers darbot, drückte sie
sich gleichzeitig in das Flüstern ihres Begleiters geschmeichelt hinein, gab
und nahm in einem und beides nur im Spiel. Eigentlich war ich erbittert, denn
ich haßte gerade an anderen diese Art kalter und boshaft berechnender
Sinnlichkeit, weil ich sie meiner eigenen wissenden Fühllosigkeit so
blutschänderisch nahe verschwistert fühlte. Aber doch, ich war erregt,
vielleicht mehr im Haß wie in Begehrlichkeit. Frech trat ich näher und griff
sie brutal an mit den Blicken. »Ich will dich, du schönes Tier«, sagte ihr
meine unverhohlene Geste, und unwillkürlich mußten meine Lippen sich
bewegt haben, denn sie lächelte mit leiser Verächtlichkeit, den Kopf von mir
wegwendend, und schlug die Robe über den entblößten Fuß. Aber im
nächsten Augenblick wanderte die schwarze Pupille wieder funkelnd her und
wieder hinüber. Es war ganz deutlich, daß sie ebenso kalt wie ich selbst und
mir gewachsen war, daß wir beide kühl mit einer fremden Hitze spielten, die
selber wieder nur gemaltes Feuer war, aber doch schön anzusehen und heiter
zu spielen inmitten eines dumpfen Tags.
Plötzlich erlosch die Gespanntheit in ihrem Gesicht, der funkelnde Glanz
glomm aus, eine kleine ärgerliche Falte krümmte sich um den eben noch
lächelnden Mund. Ich folgte der Richtung ihres Blicks: ein kleiner, dicker
Herr, den die Kleider faltig umplusterten, steuerte eilig auf sie zu, das Gesicht
und die Stirn, die er nervös mit dem Taschentuch abtrocknete, von Erregung
feucht. Der Hut, in der Eile schief auf den Kopf gedrückt, ließ seitlich eine
tief heruntergezogene Glatze sehen (unwillkürlich empfand ich, es müßten,
wenn er den Hut abnehme, dicke Schweißperlen auf ihr brüten, und der
Mensch war mir widerlich). In der beringten Hand hielt er ein ganzes Bündel
Ticketts. Er prustete förmlich vor Aufregung und sprach gleich, ohne seine
Frau zu beachten, in lautem Ungarisch auf den Offizier ein. Ich erkannte
sofort einen Fanatiker des Rennsportes, irgendeinen Pferdehändler besserer
Kategorie, für den das Spiel die einzige Ekstase war, das erlauchte Surrogat
des Sublimen. Seine Frau mußte ihm offenbar jetzt etwas Ermahnendes
gesagt haben (sie war sichtlich geniert von seiner Gegenwart und gestört in
ihrer elementaren Sicherheit), denn er richtete sich, anscheinend auf ihr
Geheiß, den Hut zurecht, lachte sie dann jovial an und klopfte ihr mit
gutmütiger Zärtlichkeit auf die Schulter. Wütend zog sie die Brauen hoch,
abgestoßen von der ehelichen Vertraulichkeit, die ihr in Gegenwart des
Offiziers und vielleicht mehr noch der meinen peinlich wurde. Er schien sich
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik