Seite - 82 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Erregung zu wogen und, eine einzige, schmutzige, schwarze Welle, gegen die
Barriere zu drängen, aber ich sah gar nicht hin, es langweilte mich schon. Und
ich dachte daran, hinüber in die Kriau zu gehen oder heimzufahren. Aber
kaum daß ich jetzt unwillkürlich den Fuß zum Schritt vorwärts tat, bemerkte
ich das blaue Tickett, das vergessen am Boden lag. Ich nahm es auf und hielt
es spielend zwischen den Fingern, ungewiß, was ich damit anfangen sollte.
Vage kam mir der Gedanke, es »Lajos« zurückzugeben, was als vortrefflicher
Anlaß dienen könnte, mit seiner Frau bekannt zu werden; aber ich merkte,
daß sie mich gar nicht mehr interessierte, daß die flüchtige Hitze, die mir von
diesem Abenteuer angeflogen kam, längst in meiner alten Gleichgültigkeit
ausgekühlt war. Mehr als dies kämpfende, verlangende Hin und Her der
Blicke verlangte ich von Lajos Gattin nicht – der Dickling war mir doch zu
unappetitlich, um Körperliches mit ihm zu teilen – den Frisson der Nerven
hatte ich gehabt, nun fühlte ich bloß mehr lässige Neugier, wohlige
Entspannung.
Der Sessel stand da, verlassen und allein. Ich setzte mich gemächlich
nieder, zündete mir eine Zigarette an. Vor mir brandete die Leidenschaft
wieder auf, ich horchte nicht einmal hin: Wiederholungen reizten mich nicht.
Ich sah laß den Rauch aussteigen und dachte an die Meraner Gilfpromenade,
wo ich vor zwei Monaten gesessen und in den sprühenden Wasserfall
hinabgesehen hatte. Ganz so war dies wie hier: auch dort ein mächtig
aufschwellendes Rauschen, das nicht wärmte und nicht kühlte, auch dort ein
sinnloses Tönen in eine schweigendblaue Landschaft hinein. Aber jetzt war
die Leidenschaft des Spiels beim Crescendo angelangt, wieder flog der
Schaum von Schirmen, Hüten, Schreien, Taschentüchern über die schwarze
Brandung der Menschen hin, wieder quirlten die Stimmen zusammen, wieder
zuckte ein Schrei – nun aber andersfarbig – aus dem Riesenmaul der Menge.
Ich hörte einen Namen, tausendfach, zehntausendfach, jauchzend, gell,
ekstatisch, verzweifelt geschrien: »Cressy! Cressy! Cressy!« Und wieder
brach er, eine gespannte Saite, plötzlich ab (wie doch Wiederholung selbst die
Leidenschaft eintönig macht!). Die Musik begann zu spielen, die Menge löste
sich. Tafeln wurden emporgezogen mit den Nummern der Sieger. Unbewußt
blickte ich hin. An erster Stelle leuchtete eine Sieben. Mechanisch sah ich auf
das blaue Tickett, das ich zwischen meinen Fingern vergessen hatte. Auch
hier die Sieben.
Unwillkürlich mußte ich lachen. Das Tickett hatte gewonnen, der gute
Lajos richtig gesetzt. So hatte ich mit meiner Bosheit den dicken Gatten sogar
noch um Geld gebracht: mit einem Male war meine übermütige Laune wieder
da, nun interessierte es mich zu wissen, um wieviel ihn meine eifersüchtige
Intervention geprellt. Ich sah mir den blauen Pappendeckel zum erstenmal
genauer an: es war ein Zwanzigkronen-Tickett, und Lajos hatte auf »Sieg«
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik