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Zufall, der es mir gegeben, wiederum hinein in den gefräßigen Schlund, der
jetzt die neuen Einsätze, Silber und Scheine, gleich gierig hinunterschluckte –
ja, das war das Richtige, die wahre Befreiung.
Ungestüm eilte, ja lief ich hin, keilte mich mitten zwischen die
Drängenden. Nur zwei Vordermänner waren noch vor mir, schon stand der
erste beim Totalisator, als mir einfiel, daß ich gar kein Pferd zu nennen wußte,
auf das ich setzen könnte. Gierig hörte ich in das Reden rings um mich.
»Setzen Sie Ravachol?« fragte einer. »Natürlich Ravachol«, antwortete ihm
sein Begleiter. »Glauben Sie, daß Teddy nicht auch Chancen hat?« »Teddy?
keine Spur. Er hat im Maidenrennen total versagt. Er war ein Bluff.«
Wie ein Verdurstender schluckte ich die Worte ein. Also Teddy war
schlecht, Teddy würde bestimmt nicht gewinnen. Sofort beschloß ich, ihn zu
setzen. Ich schob das Geld hin, nannte den eben erst gehörten Namen Teddy
auf Sieg, eine Hand warf mir die Ticketts zurück. Mit einem Male hatte ich
jetzt neun rotweiße Pappendeckelstücke zwischen den Fingern statt des einen.
Es war noch immer ein peinliches Gefühl; aber immerhin, es brannte nicht
mehr so aufreizend, so erniedrigend wie das knitterige bare Geld.
Ich empfand mich wieder leicht, beinahe sorglos: jetzt war das Geld
weggetan, das Unangenehme des Abenteuers erledigt, die Angelegenheit
wieder zum Scherz geworden, als der sie begonnen. Ich setzte mich lässig in
meinen Sessel zurück, zündete eine Zigarette an und blies den Rauch
gemächlich vor mich hin. Aber es hielt mich nicht lange, ich stand auf, ging
herum, setzte mich wieder hin. Merkwürdig: es war vorbei mit der wohligen
Träumerei. Irgendeine Nervosität stak mir knisternd in den Gliedern. Zuerst
meinte ich, es sei das Unbehagen, unter den vielen vorbeistreifenden Leuten
Lajos und seiner Frau begegnen zu können; aber wie konnten sie ahnen, daß
jene neuen Ticketts die ihren waren? Auch die Unruhe der Menschen störte
mich nicht, im Gegenteil, ich beobachtete sie genau, ob sie nicht schon wieder
nach vorne zu drängen begannen, ja ich ertappte mich, wie ich immer wieder
aufstand, um zur Fahne zu blicken, die bei Beginn des Rennens hochgezogen
wurde. Das also war es – Ungeduld, ein springendes, inneres Fieber der
Erwartung, der Start möge schon beginnen, die leidige Angelegenheit für
immer erledigt sein.
Ein Bursche lief vorbei mit einer Rennzeitung. Ich hielt ihn an, kaufte mir
das Programm und begann unter den unverständlichen, in einem fremden
Jargon geschriebenen Worten und Tips herumzusuchen, bis ich endlich Teddy
herausfand, den Namen seines Jockeis, den Besitzer des Stalles und die
Farben rotweiß. Aber warum interessierte mich das so? Ärgerlich zerknüllte
ich das Blatt und warf es weg, stand auf, setzte mich wieder hin. Mir war
ganz plötzlich heiß geworden, ich mußte mir mit dem Taschentuch über die
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik